Das Gesamtwerk
S-Leute einen Augenblick verwirrt – der Mensch steht sich gegenüber, im Zuchthauskittel der eine, der andere in der Uniform des Herrn, beide nicht nur gut, aber gewiß auch beide nicht nur böse. Langhoffs Bericht aus Börgermoor widerlegt nebenbei dieBehauptung, es sei erst in den letzten Kriegsjahren in den Konzentrationslagern so schlimm geworden. Was der Verfasser hier 1933 erlebte, steht den Geschehnissen von 1944/45 – Dachau oder Buchenwald – in nichts nach, höchstens an Ausmaß.
Ein wohltuender, sauberer Klang ist ferner der ganz unpersönliche und sehr objektive Bericht des Hamburger Schriftstellers H. Ch. Meier aus dem KZ Neuengamme: «So war es» . (Phönix-Verlag Hamburg). Meier bleibt so erfreulich sachlich, ebenso wie Langhoff, daß sein Buch aus der Masse der anderen, die zu Ausflügen in dichterischen Schmus neigen, hoch herausragt.
Dem Phönix-Verlag kommt das Verdienst zu, außer dem Bericht von Meier das ausgezeichnete Buch von Walter Poller: «Arztschreiber in Buchenwald» herausgebracht zu haben. Während Meier eine allgemeine große Überschau gibt, auf Details verzichtet und selbst ganz zurücktritt, hat Poller eine breit angelegte Chronik des KZ Buchenwald geschrieben, sehr genau und sehr gründlich. Der Verfasser konnte als Schreiber des Lagerarztes tief hinter die Kulissen des teuflischen Systems sehen, dessen Zweck die Ausrottung aller Menschen war, die aus irgendeinem Grunde nicht der Norm des braunen Massenroboters entsprachen. Poller schreibt die Geschichte von der organisierten Vernichtung, von der unmenschlichen Methode, Mensch gegen Mensch zu hetzen, von der Hölle des Idealstaates von Himmlers Gnaden, in der selbst die Todesanwärter uniformiert wurden und bis zum grausigen Ende in der Gaskammer die Segnungen des preußischen Drills über sich ergehen lassen mußten. (Richard Grünes vier Steindrucke sind gleichsam das Siegel zu diesem Dokument der Ungeheuerlichkeit.)
Diese drei Zeugnisse der jüngsten Vergangenheit sind ohne Zweifel die wertvollsten. Ein kleiner Gewinn bei sovielAufwand! Sie verderben nicht den Geschmack eines leider häufig sensationslüsternen Lesepublikums und sie fordern auch nicht zu der oft berechtigten Abwehr gegen die K Z-Literatur heraus, die sich dann bei Erscheinen eines neuen Buches mit dem Ruf: Ach Gott, schon wieder KZ! zu erkennen gibt. Diese drei Bücher, das von Langhoff, das von Meier und das von Poller, gehören zu dem Notwendigen, das wir heute brauchen, um die Zukunft besser gestalten zu können.
Am Rande sei noch ein Buch vermerkt, das durch seinen Inhalt nur für einen ganz kleinen Leserkreis gedacht ist. Es handelt sich um die Predigten aus Dachau, die unter dem Titel «Das aufgebrochene Tor» eine Reihe von Andachten vereinigen, die sich die Geistlichen, die in Dachau streng getrennt von den übrigen Gefangenen waren, für sich selbst bereiteten. Manches mutige Wort ist hier gesprochen worden – aber oft von einer Lebensfremdheit, die fast bestürzt. Flucht in eine andere Welt, vielleicht in eine bessere, sicher aber nur eine tote Welt des theologischen Begriffs. Trotzdem hat dieses Buch seine Berechtigung und seinen Wert – es ist der Bericht von der Flucht in den Geist, er möge nun Gott oder Kosmos heißen.
Kein Schwerkranker wird sich auf dem Krankenbett damit beschäftigen, Fieberkurven zu studieren, und es ist durchaus begreiflich, daß in dem Deutschland von 1947, wo der Hunger und die Kälte nahe Nachbarn geworden sind, die K Z-Literatur keine große Anhängerschaft gewinnen kann. Hatten die Häftlinge Hunger? Den haben wir auch. Haben die Häftlinge gefroren? Das tun wir auch. Häuften sich die Toten vor den Krematorien? Wenn es so weitergeht, werden sie das bald wieder tun. Waren die Häftlinge eingesperrt? Das sind Tausende von Kriegsgefangenen auch. Und so weiter – das ist die Begründung der Ablehnung der K Z-Literatur .Ob sie zu Recht oder Unrecht besteht, kann heute keiner entscheiden. Notwendig aber ist, daß die Menschen, die die ungeheure Gesetzlosigkeit des vergangenen Regimes erdulden mußten, diese Kapitel aus der dunkelsten Zeit unserer Geschichte aufschreiben, zur Warnung und Mahnung, für die Toten und die Lebenden.
Der Mensch steht allein auf der dunklen Bühne und ruft nach Gott – kommt Antwort? Der vorletzte Akt der Tragödie des Menschen ist zu Ende gegangen. Ob der letzte Akt die Vernichtung oder Auferstehung bringen wird, das ist die Frage, die wie ein riesiger Schatten über uns allen
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