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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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liegt.

Sechzig Jahre Hamburg
    Adolph Wittmaack: «Konsul Möllers Erben»

    Das sind sechzig Jahre Hamburger Geschichte, die Adolph Wittmaack hier in einem guten, etwas unpersönlichen Deutsch aufgeschrieben hat. Sie beginnen im Jahre 1888 mit Konsul Möllers Tod und enden mitten im letzten Krieg mit dem Untergang der großen Stadt Hamburg, deren Trümmer die letzten Erben der Familie Möller unter sich begraben.
    Vielleicht waren gerade die letzten sechzig Jahre etwas zu vollgestopft mit großen Ereignissen, und es würde eine ungeheure Leistung sein, diese in einem Roman zu einem Ganzen zu verdichten. Wittmaack schreibt mehr eine Chronik als einen Roman. Die Menschen spielen trotz ihrer großen Lebendigkeit nicht die Hauptrolle. Die Hauptrolle spielt die Zeit, und die Menschen sind nur Akteure in ihr, die auftreten und abtreten, wie ihr Leben es für sie bestimmt. Vielleicht ist der Bogen über diese sechzig Jahre (mit ihren gewaltigen Geschehnissen) etwas zu weit gespannt, so daß das Schicksal des einzelnen Menschen etwas blaß bleiben muß.
    Die jüngste Vergangenheit ist noch zu lebendig in uns, als daß wir ihr nun objektiv und gefaßt in Form eines Romans begegnen können. Wittmaack weicht ihr nicht aus und läßt seine Menschen mitten durch sie hindurchgehen, aber es gelingt ihm nicht – und das mag an dem kühlen Chronikstil des ganzen Romans liegen – unser Herz bis in seine Tiefen anzurühren.

«Von des Glücks Barmherzigkeit»
    Auf jeden Fall hat Wolfgang Weyrauch Mut. Und er hat viel Walt Whitman gelesen. Beides kann nur gut sein. Aber es hat auch seine Nachteile. Man sieht es an diesen Gedichten.
    Weyrauch spricht die Gegenwart an. Das ist großartig. Aber manchmal mißglückt es. So wie hier: Gewiß hat Hitlers Höllenatem eine Welt in Flammen aufgehen lassen, und man kann ihn darum einen Drachen nennen. Weyrauch tut das und schreibt:

    Es kam einmal ein Mann ins Land,
    der hob die Hand, die rechte Hand,
    da war das Land im Banne.
    Aus seinem Munde fuhr ein Schrei,
    doch, was er schreit, ist einerlei,
    das Land willfahrt dem Manne.
    Der Mann, der war dem Schimmel gleich,
    da faulte uns das Heilige Reich,
    und alles ist verloren.

    So etwas zu schreiben, dazu gehört Mut. Literarischer Mut. Aber Gedichte dieser Art sind im «Ulenspiegel» . (der übrigens ausgezeichnet ist) besser aufgehoben als in einem Gedichtband.
    Auffällig ist der Gegensatz von einfacher Whitmanscher Hymnensprache zu Rilkeschen Bildern und Wortspielereien, von volksliedhafter echter Dichtung und symbolisierendem Intellekt. Schönes und Schlechtes steht in diesem Gedichtband dicht nebeneinander. Aber man fühlt: Hier ist einer auf dem Weg. In der Prosa ist Weyrauch sehr viel weiter. Da steht er in vorderster Linie und kann in Stil und Inhalt Vorbild sein.
    Der Aufbau-Verlag, Berlin, lieferte als Einband ein geschmackloses Wahlplakat: Ein menschliches Paar. Sie hat die treudeutsche Herbheit eines BD M-Mädchens , er hat die bemerkenswert niedrige Stirn eines Hilfsschülers. Schade um die Gedichte.

«Disteln und Dornen»
    Verharret im glücklichen Spiel!
    Sicherer ist eure winzige Welt.
    Todgeweihte wissen, wieviel
    Glück mit dem Stern der Kindheit fällt.

    Rufet die Mütter ans Bett, wenn im Geäst
    der Tapetenblumen plötzlich der Unhold erscheint.
    Später, ach wenn euch alles verläßt,
    Hört keiner mehr, daß ihr weint.

    Wer schreibt das? Wenn ein Fünfzigjähriger das tut, dann ist es natürlich. Es ist die Trauer um das verlorene Paradies. Wenn aber ein knapp Zwanzigjähriger das schreibt, dann erschüttert es. Ist er frühreif, früh vollendet? Nein. Aber er muß es schreiben. Er muß es schreiben, denn er sitzt in einer Gefängniszelle und der Tod ist so nah gerückt, daß er ihn fast greifen kann.

    Zweistimmig sagen mir zu jeder Stunde
    die Glocken meinen Tod voraus.

    Was ist geschehen? Nicht viel. Nur das Bekannte. Die Generation, die den kleinen Weltkrieg furchtbar an sich erlebte, war unfähig, den großen zu verhindern. Das ist noch nicht alles. Dieselbe Generation, die vor Hitler kapitulierte, war gewissenlos genug, der Jugend in kriegs verherrlichenden Langemarckfeiern den Massenmord der «Stahlgewitter» legal zu machen. Dieselbe Generation saß dann im großen Weltkrieg über diese Jugend zu Gericht, wenn sie sich auflehnte, und verurteilte sie wegen Pazifismus und Hochverrat. Dieselbe Generation sitzt nun wieder auf dem Kathederund macht dieser von ihr selbst verführten Jugend den Vorwurf der

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