Das Gesamtwerk
lesen sollen, abends vor dem Einschlafen, als Kommentar sozusagen zu «Mein Kampf» und zum «Mythos». Dann hätte das alles nicht passieren können. Der Rowohlt-Verlag hat zwei Bücher herausgebracht: «Gruß nach vorn» von Kurt Tucholsky und «Bei Durchsicht meiner Bücher» von Erich Kästner. Tucholsky ist tot und deswegen hat Kästner sein Buch betreut. Sie gehören auch zusammen, die beiden. Wenn man diese gepfefferten Prosaskizzen von Tucholsky und die warmherzigen Verse von Kästner heute liest, dann ist man betroffen von ihrer Lebendigkeit, von ihrer Offenheit, von ihrer Ahnung. Mag oft das Journalistische, Kabarettistische, Zeitkritische auf Kosten des Dichterischen überwiegen, beide, sowohl Tucholsky wie auch Kästner, haben einen tiefen Blick in den Menschen und in den Unmenschen getan und ihre leidenschaftliche Anteilnahme am Menschlichen macht alle anderen Mängel wett. Kästner lebt und wirkt und man kennt ihn. Tucholsky ist tot. Wie wichtig es aber noch heute ist, Tucholsky zu lesen, das mag die folgende Probe zeigen.
Bücher – für morgen
Hans Harbeck hat in Hamburg als eigenwilliger Kabarettist und scharfblickender Humorist einen guten Namen. Kurz vor Toresschluß machte er noch die Bekanntschaft mit den Gefängnissen des Dritten Reiches. Er schrieb in der Haft eine Reihe von Versen (190), von denen nun 50 in Buchform vorliegen («Verse aus dem Gefängnis», Hammerich und Lesser). Harbeck ist Kabarettist, nicht zufällig, sondern von innen her. Und diesem Schicksal kann er auch in der Zelle nicht entfliehen. Seine Verse – er gebraucht die für einen Wortartisten verführerische Form der Siziliane – bleiben auch unter diesen Umständen kabarettistisch. Der Poet spottet grimmig über sich und die Welt. Das hat einen Nachteil und einen Vorteil. Der Nachteil ist ein Mangel an Wärme und Tiefe – der Vorteil ist unbestechliche närrischweise Sachlichkeit.
Einen ganz anderen Niederschlag fanden dieselben Umstände in dem Buch «So war es» von H. Chr. Meier (Phönix Verlag, Hamburg). Dort reimt und spottet ein Poet, hier berichtet ein Journalist nüchtern, aufzählend und aufklärend. Der unpoetische, sachliche Bericht aus dem KZ Neuengamme läßt Völker und Individuen an uns vorüberziehen. Er nennt die menschlichen und die unmenschlichen. Meier klagt nicht an, keine Nation, keine Gruppe, keine Organisation. Er zeigt uns zwischen den Zeilen den Menschen nackt, ausgeliefert, groß, erbärmlich, erschütternd, brutal – den Menschen, abgeschminkt und ohne Maske, in ein System eingegliedert, das ohne Beispiel ist.
Beide, das Buch von Harbeck und das von Meier, sind Zeugnisse von gestern. Für heute? Noch sind die Wunden der jüngsten Vergangenheit weit offen und die Schreie der Opfer und die Flüche ihrer Henker noch nicht verhallt. Wirwehren uns heute noch gegen diese Bilder von gestern, aus Angst, aus Scham, aus Schmerz. Aber morgen werden wir vielleicht die Bücher hersuchen und fragen: Wie war es noch? Ja so war es! Und wir wollen es nicht vergessen!
Neues aus Hamburger Verlagen
Mit vierzehn Jahren schrieb Flaubert die Erzählung «Der Büchernarr». Mit neunzehn Jahren schrieb er den «November». Und weil er jung war, als er schrieb, deswegen ist das Buch auch für uns heute noch jung. Die Lebensbeichte eines chaotischen, sensiblen, leidenschaftlichen jungen Menschen, der aller Qual und Süße des Lebens preisgegeben ist, wann wäre das lesenswerter als heute? Das ist nicht der besonnene, korrekte, weise Flaubert – nein, das ist ein junger Mensch, der ein blutendes Herz hat, der ein geniales Gefühl in sich trägt, der mit einem ungestümen Temperament durch die Welt stürmt. Ein anderer Flaubert, als der bekannte, aber nicht ein schlechterer, nur ein jüngerer.
Es gibt zahlreiche Übertragungen der Sonette Shakespeares. Streng exakte, rein wissenschaftliche und ganz dichterische, neu- und nachgedichtete. (Die Georgesche ist wohl die eigenwilligste). Die Übertragung von Gottlob Regis, erstmalig 1836 erschienen, hält das goldene Mittelmaß. Weder Shakespeare noch die deutsche Sprache werden vergewaltigt, und man kann sich ganz diesen intimen Bekenntnissen des größten aller Dramatiker hingeben. Ein Buch für die wenigen stillen Stunden, die uns heute bleiben.
Beide Bücher zeigen eine besonders geschmackvolle und für jeden Bücherfreund erfreulich gute Aufmachung: Selbstverständlich nur Pappeinbände, aber künstlerisch und buchtechnisch so ausgezeichnet gemacht, daß man die
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