Das Gesamtwerk
Bücher gern in die Hand nimmt, dafür ist in beiden Fällen dem Marion v. Schröder Verlag zu danken.
Kartoffelpuffer, Gott und Stacheldraht
K Z-Literatur
«Heute habe ich einen Fußtritt bekommen – LUZIFER liegt auf der Lauer. Heute habe ich keinen Fußtritt bekommen – MICHAEL steht bei mir. Heute konnte ich ungestört Kartoffelpuffer backen – JESUS leiht mir seinen Schutz. Heute durfte ich Pastor Niemöller sehen – GOTT ist barmherzig, ich bin in IHM.» Und so weiter.
In dieser Form geht es zwischen Luzifer und Michael, mit Gott und Jesus durch zwei dicke Bände mit zusammen über sechshundert Seiten. Titel: «2000 Tage Dachau» und «Fünf Minuten vor Zwölf». Verfasser: K. A. Groß (Neubauer-Verlag).
Daß man mit dem Christentum Geschäfte machen kann, ist eine schon seit längerem bekannte Tatsache. Daß man das auch mit dem Konzentrationslager machen kann, ist erst neu. Der Verleger und gleichzeitige Verfasser der beiden genannten Bücher kann noch mehr. Er kann beides, das heißt: Christentum und Konzentrationslager in schmackhafter, kühn kombinierter Mischung zu einem Geschäft vereinigen. Das Rezept ist so: In einem schnodderig-geschwätzigen Stil plaudert und betet er munter drauf los, mixt ungeniert die intimen Dinge der Religion mit einem ganz erstaunlich soliden Kartoffelpuffermaterialismus und ergeht sich in wenig schamhafter Weise in frömmelnden Hymnen auf Gott und die (durch «Kirchenkapitän» Niemöller vertretene) Geistlichkeit, wobei er nicht versäumt, das Wort GOTT, JESUS oder ER jedesmal und auf jeder dritten Seite mit großen Buchstaben zu drucken. (Dazu ist man ja auch schließlich Verleger, um der Druckerei solche Order erteilen zu können). Wenn man nun noch bedenkt, daß K. A. Großaußer diesen beiden Bänden, die den stattlichen Preis von 8.50 RM kosten, zwei weitere dicke Werke über seine Abenteuer im KZ verfaßt hat, so muß einem ungewollt der Verdacht kommen, daß es hier nicht um die große menschliche Tragödie der letzten zwölf Jahre geht, sondern um ein christlich getarntes, zuletzt aber höchst irdisches Geschäft.
Der Leser von 1947 wird sich auch nicht in dem Maße entsetzen, wie er es eigentlich soll, wenn er hört, daß der Verfasser und Erdulder der 2000 Tage Dachau bis kurz vor Kriegsende immer noch Gelegenheit und Kartoffeln genug hatte, um täglich Puffer backen zu können, und der Leser von 1947 wird auf die Klage, daß es zum Schluß nur noch ein Achtel Brot im Lager gab, nur erstaunt fragen können: Na und?
Die fortwährend anwachsende Flut der KZ- und Gefängnisliteratur, die mit Wolfgang Langhoffs «Moorsoldaten» . (im Zinnenverlag) so hoffnungsvoll begann, zeigt bisher nur wenige positive und tatsächlich wertvolle Erfolge. Ja, man kann beinahe sagen, daß Langhoffs bereits 1934 in der Schweiz erschienenes Buch noch immer das beste geblieben ist. Vielleicht ist das Erlebnis des Konzentrationslagers so ungeheuer und aufwühlend, so unfaßbar in seiner fürchterlichen Gewalt, daß eine vollendete Gestaltung einen wirklich ganz großen Dichter verlangt. Die Versuche, die in dichterischer Form an das K Z-Erlebnis herangehen, bleiben jedenfalls noch so sehr im Ansatz stecken, daß man die andere mögliche Form der Überlieferung, den sachlichen journalistischen Bericht, eine unpersönliche Chronik, unbedingt vorziehen möchte.
Ernst Wiechert (sein Buch «Der Totenwald» erschien ebenfalls im Zinnenverlag Kurt Desch), der in seinem Vorwort selbst sagt, sein Bericht sollte nur eine Einleitung zu seiner Dichtung sein, bleibt leider nicht konsequent. Er hat nichtden Mut, in der Ich-Form zu erzählen, sondern er nennt sich selbst Johannes (in sinnvoller Beziehung zu seinem biblischen Namensvetter – sonst wäre er ja nicht Ernst Wiechert!), und er berichtet in einem etwas pastoralen, dichterisch verklärten Ton über sein und seiner Mitgefangenen Leid.
Mit müder, kraftloser Melancholie tönt seine weltschmerzliche Klage aus dem Totenwald bei Weimar und wenn man am Ende der Wiechert-Johannis-Passion angelangt ist, legt man das Buch etwas enttäuscht aus der Hand. Man sieht nicht ganz ein, warum der Dichter sich hinter dem Pseudonym Johannes versteckt, wo andererseits in jeder Zeile der allerpersönlichste Ernst Wiechert zu erkennen ist, und der Kompromiß zwischen Bericht und Dichtung erscheint wenig glücklich. Eigentlich hätte man von Wiechert mehr erwartet – oder hat die Mühle des tausendjährigen Reiches ihre Opfer so unbarmherzig zermahlen,
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