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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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Respektlosigkeit, des mangelnden Vertrauens und der Passivität. Dieselbe Generation, die einen Zwanzigjährigen soweit brachte, daß er, fast selbst noch ein Kind, schreiben mußte:

    Wozu sich daran erinnern,
    wenn ein Kind dort draußen lacht.
    Schatten wachen auf im Innern
    und dann wird es endlich Nacht.

    Der Hansische Gildenverlag bringt in einem schmalen Heft diese Gedichte von Karl Ludwig Schneider heraus und erwirbt sich damit ein Verdienst. Denn was ein junger Mensch hier in einem ein und einem halben Dutzend Gedichten sagt, ist weit mehr als das Resultat eines bitteren Erlebnisses und steht hoch über der augenblicklichen Konjunktur von Gefängnisschrifttum.

Unter der Laterne
    «Sie ergreifen so einfach von mir Besitz! Geh doch mit den Mädchen, die zu dir gehören, die so alt sind wie du. Ich habe eine Tochter von neunzehn Jahren!»
    «Du, das will ich alles überhaupt nicht wissen! Bitte, Els, komm mit.»
    «Sie – Du bist unverschämt!»
    «Siehst du, Els, jetzt sagst du doch du zu mir.»
    «Weil du ein Flegel bist!»
    «Dann mach du mich besser.»
    «Was willst du von mir?»
    «Nichts. Ich will dich liebhaben dürfen und du sollst mich ertragen – darum bitte ich dich.»
    «Deine einundzwanzig Jahre sind weiß Gott kaum zu ertragen. Du vergißt, daß ich sechsunddreißig bin.»
    «O wie entsetzlich. Wie bist du alt und kümmerlich und runzelig! Ja, du nähst sicher schon an deinem Totenhemd. Glaubst du, du bist mit deinen sechsunddreißig Jahren soviel weiser als ich mit meinen einundzwanzig Jahren?»
    «Nein, das weiß ich. Sonst würde ich hier nicht mitten in der Nacht mit dir auf der Straße stehen und über solche Dinge reden. Aber es geht doch nicht, wirklich nicht, du.»
    «Wenn du natürlich nicht willst, dann ist’s gut. Ich kann nichts dafür, daß ich dir nachgelaufen bin. Du bist für mich nicht sechsunddreißig oder die Mutter einer neunzehnjährigen Tochter – für mich bist du Els – ich habe dich lieb und alles andere hatte ich vergessen. Aber wenn du mich natürlich absolut –»
    «Sei still, du unverschämtes Kind. Ich komme mit!»

Die Blume
    Ich träumte, – rings war Vernichtung und Tod – sinnlos sank das Leben in das Nichts, zu keiner Auferstehung. Wo ist der Sinn der Welt – fragte ich in das All. Ist kein Sinn?
    Verzweifelt und ohnmächtig wanderte ich von Zeit zu Zeit, aber immer war es Krieg. Voll Grauen und Größe brach diese Vision des Untergangs auf mich nieder – wo ist Gott? Fragten die sterbenden Augen. Wo ist das Leben – fragten die welkenden Münder – wo ist der Sinn und die Liebe – fragten die verirrten, verwirrten Seelen! Das Nichtwissen um die Dinge ist die Antwort auf alles. Blutend und klagend rissen die Religionen auseinander und in viele Fetzen und das unbarmherzige, wahre Antlitz des Nichts schwieg durch den Raum – wo ist der Trost? Flehten die Herzen. In Schmerzen lächelnd sank der Genius auf dem Schlachtfeld des Chaos – er war ohne Frage. Die letzten Säulen der großen Kunst trauerten verwittert durch eine Ewigkeit, bis auch diese verging. Oh, es war soviel Klage und soviel Frage umher – und alles verhallte in dem Schweigen der Unendlichkeit.
    «Hominem quaero!» Kein Schrei aus der Einsamkeit, aus dem Untergang und Verfall – nur geflüsterte Bitte, die das Entsetzen, die Mächte um Mitleid und Gnade anfleht. Mein letztes Gebet wurde vom Nichts als ein leeres Phantom verworfen. Es war alles so spukhaft und nur die Sonne war voll unsäglicher Ruhe über dem Grauen des Abends. Schon floh auch sie – wann wird die Nacht kommen? O Sonne – – –
    Es war eine große Stille über die Natur gekommen, aber sie war unheimlich, kalt und ohne Versöhnung. Ich rufe Gott – und ewig – als eine Antwort? – atmet das All der Natur mit seinen Welten, Monden und Sternen – ewig kreist auch die heilige Sonne. Ein leiser Hauch von einem Gott machte mich erzittern, als ich aufblickte in den Tempel desAlls – hier vereinigte sich das Chaos zu der letzten Harmonie? – O Mensch, hier suche nicht – hier bete und träume von den Wundern des Himmels.
    Erschüttert vor der unbekannten Größe und von der eigenen Kleinheit fand ich mich wieder auf dem Schlachtfeld und der Wüste des Grauens – aber der Gott des Alls, der Geist der Natur, hatte mir den Glauben wiedergegeben. Und ich fand – fand Genesung und Trost: Umtost von den Wirrnissen der Welt stand bebend den Traum Gottes träumend eine zarte, lichte Blume – ihre Blüte war voll

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