Das Gesamtwerk
Sendern übernommen, zum dritten Mal im selben Jahr vom NWDR ausgestrahlt.
«Ein Mann kommt nach Deutschland. Und da erlebt er einen ganz tollen Film. Er muß sich während der Vorstellung mehrmals in den Arm kneifen, denn er weiß nicht, ober wacht oder träumt.» Wolfgang Borchert ist noch nicht 26, aber plötzlich ein gefragter und umworbener Autor, um den sich Verlage und Zeitschriften bemühen. Verwundert beobachtet er das «augenblickliche Konjunktur-Theater, das meinetwegen veranstaltet wird», den «Borchert-Rummel». Die Hörspielsendung im Februar 1947 wurde sein literarischer Durchbruch, kurz darauf suchte Ernst Rowohlt ihn auf und nahm das Werk des Autors unter Vertrag. Ein knappes Jahr war vergangen, seit er sein erstes Prosastück «Die Hundeblume» schrieb, in dem er seine Zeit im Gefängnis Moabit verarbeitete. «Bisher habe ich nur spärlich Lyrik veröffentlicht und habe nun ein eigenes Erlebnis aufgeschrieben», mit diesen Worten schickte Borchert im März 1946 aus dem Elisabeth-Krankenhaus seine Erzählung an den NWDR in Hamburg. «Vielleicht ist der Hintergrund dunkel und im Dunkeln kann man nicht aufbauen. Ich habe versucht, meiner Geschichte von innen ein Licht zu geben, so daß sie zuletzt doch eine bejahende Kraft gibt – und ich habe versucht, den billigen Positivismus der jüngsten Vergangenheit zu vermeiden.» Im nächsten Monat, er hatte noch keine Antwort erhalten, schickte er aus dem Krankenhaus eine zweite Erzählung, erhielt aber beide Texte mit einem Ablehnungsschreiben von Hans Kettler, dem Chefdramaturgen des NWDR, zurück. Doch eine Hamburger Tageszeitung druckte «Die Hundeblume», in rascher Folge erschienen weitere Arbeiten in Zeitungen und Zeitschriften, in der unmittelbaren Nachkriegszeit die eigentliche Publikationsplattform für Literatur, auch der Rundfunk sendete seine Prosa. Unverkennbar wurde hier ein neuer Ton angeschlagen, der als gültiger Ausdruck der Zeit empfunden wurde.
Mit einem schmalen Werk – zwei Dutzend Kurzgeschichten, eine Handvoll Gedichte und das Theaterstück «Draußen vor der Tür» – wurde Wolfgang Borchert zur wichtigstenStimme der deutschen Nachkriegsliteratur. Zwei Jahre blieben ihm nur zum Schreiben. Sein literarisches Werk musste er sich zwischen Fieberattacken und körperlichen Zusammenbrüchen abringen. Dem Freund Werner Lüning schrieb er am 24. Juni 1946 aus einer «restlosen down-Verfassung», demnächst werde wieder ein Stück fertig. «Aber vergiß nicht, daß das Schreiben für mich buchstäblich eine schwere Arbeit ist: 1) immer liegender Weise – 2) immer fiebernder Weise – 3) immer Wehwehhabender Weise.» Der Brief endet abrupt: «Ich sehe an meiner Schrift, daß ich nicht mehr kann.» Einen Roman will er schreiben, aber dazu fehlt ihm die Kraft. Umso erstaunlicher, dass unter diesen Umständen ein Theaterstück entstand. Es gibt keinen Entwurf, keine Ankündigung in der Korrespondenz. Niedergeschrieben wurde es in knapp acht Tagen. «Der Stoff überwältigte ihn derart, daß er jede Rücksicht gegen sich vergaß», berichtet Bernhard Meyer-Marwitz. «Borchert büßte diese Arbeit mit einem Schwächeanfall, was ihn nicht hinderte, uns das Stück vorzulesen, sobald es in der Maschinenabschrift vorlag. Drei Stunden las er. Wir wagten ihn nicht zu unterbrechen, obwohl diese dreistündige, auch ihn selbst erregende Lesung für seinen Körper eine unerhörte Zumutung bedeutete.» Als der Autor mit dem verzweifelten Schrei nach Antwort die private Dichterlesung beendete, herrschte in der Runde der versammelten Freunde betroffenes Schweigen. Im Raum stand die unausgesprochene Frage: «Wer sollte den Mut aufbringen, dieses Stück ins Publikum zu schleudern?» Heimkehrer-Stücke wurden in jenen Jahren viele geschrieben und auch aufgeführt, doch niemand stellte die Fragen so radikal und existentiell, zeigte das Elend und die Misere als visionäres Seelendrama, legte die inneren Verletzungen und das Trauma der Restauration derart schonungslos bloß, um den verstörten Zuschauer amEnde ohne Antwort zu lassen. Borchert war bewusst, dass «Draußen vor der Tür», Klage und Anklage zugleich, sich dem kollektiven Wunsch nach Verdrängung entgegenstellte. Er schrieb in den Untertitel: «Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will». «Wir bringen es nicht dennoch, sondern gerade deshalb», hieß es in der Ankündigung der Hörspiel-Sendung.
Der Abdruck der 3. Szene (Beckmann sucht den Oberst auf) in der «Hamburger
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