Das Gesamtwerk
auf eines, das sich nach seinem Tod 1985 in einem eingelagerten Schrank wiederfand, der zur Versteigerung anstand. Auf eine Aufnahme in das «Gesamtwerk» konnte verzichtet werden; als Privatdruck sind die drei Stücke über die Internationale Wolfgang-Borchert-Gesellschaft in Hamburg zu beziehen.
Mehrfach sind Herta Borchert und der Freundeskreis beim Verlag vorstellig geworden, um eine Publikation der frühen Texte, speziell der Gedichte, anzuregen. Der Verlag tat sich schwer mit der Entscheidung. Peter Rühmkorf, der Borchert-Experte bei Rowohlt, riet ab. «Trotzdem ist dies natürlich eine sehr verantwortungsvolle verlegerische und sogar auch literatur-historische Entscheidung», räsonierte 1968 der damalige Cheflektor Fritz J. Raddatz. «Deshalb haben wir hier im Hause allen Respekt auch vor eventuell schwächeren Texten und zögern einigermaßen mit endgültigen negativen Entscheidungen, die ja irgendwann einmal gerechtfertigt werden müßten.» Raddatz wandte sich an Prof. Karl-Ludwig Schneider, der zu Lebzeiten Borcherts zu dessen Förderern und Freunden gehörte. Doch auch der Literaturwissenschaftler kam in seinem Gutachten zu einem negativen Urteil: Die Gefahr sei groß, durch eine Veröffentlichung das Bild des Dichters zu schädigen. Seinerzeit unterblieb die Publikation, heute besteht kein Anlass mehr zu Besorgnis:An der Stellung und Bedeutung Borcherts für die deutsche Nachkriegsliteratur gibt es keinen Zweifel mehr, und es ist durchaus aufschlussreich, zu einem Werk auch die Anläufe, so ungenügend sie auch immer sein mögen, zur Kenntnis zu nehmen.
Heinrich Böll, mit seinen Kurzgeschichten aus der Nachkriegszeit legitimer Nachfolger Borcherts, hat die Erzählungen des Schriftsteller-Kollegen gelobt: «kühl und knapp, kein Wort zu wenig, kein Wort zu viel». «Das Brot» nannte er «ein Musterbeispiel für die Gattung Kurzgeschichte, die nicht mit novellistischen Höhepunkten und der Erläuterung moralischer Wahrheiten erzählt, sondern erzählt, indem sie darstellt». Borchert musste sich diesen Stil erst erarbeiten. Man kann dies sehr gut sehen, wenn man «Die Blume» von 1941 vergleicht mit der «Hundeblume» von 1946. Die frühe Skizze, obwohl schon zentrale Motive anklingen, ist kaum mehr als ein schwülstiger Besinnungsaufsatz. «Ich weiß, es fehlt die klare Einfachheit – aber es ging eben nicht anders», merkte Borchert an, als er den Text Hugo Sieker schickte. Es gehört zu den Geheimnissen künstlerischer Kreativität, dass der Autor später gerade diese Nüchternheit und Einfachheit der Darstellung erzielte, ohne an emotionaler Wirkung zu verlieren.
Anfang Oktober 1947 tagte in Berlin der Erste Deutsche Schriftstellerkongress. Autoren, Kritiker und Verleger aus allen vier Besatzungszonen waren zusammengekommen, um über die Bedingungen der Literatur zu debattieren. Kurz vor Schluss, am vorletzten Tag, meldete sich die Autorin Anneliese Wiener zu Wort: Es genüge nicht, dass Zeitungen und Zeitschriften die Arbeiten der jungen Generation veröffentlichten. «Ich verweise nur auf den jungen Hamburger Borchert, der vor einigen Monaten im ‹Tagesspiegel› eineausgezeichnete Novelle hatte, die hieß ‹Der Kellner meines Onkels›, die so unglaublich gekonnt war, daß man sagen mußte: Wo bleibt das Buch, wo bleibt die Sammlung?» Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle den Zuruf: «Sie ist inzwischen erschienen!», daraufhin Bravo-Rufe und Beifall. Der Zurufer dürfte Ernst Rowohlt gewesen sein, der sich unter den Kongressteilnehmern befand.
An seinem Krankenbett in Hamburg, berichtete Borchert einem Freund, sei «Altmeister Rowohlt» erschienen «und verlobte mich seinem Verlag mit Haut und Haar». Der Vertrag über «Draußen vor der Tür» enthielt eine dreijährige Option auf alle weiteren Werke des Autors. Das war die Verlobung – die Hochzeit erfolgte posthum. Der Autor war gestorben, der Erzählungsband «An diesem Dienstag» lag bereits in den Buchhandlungen, da fiel Ernst Rowohlt auf, dass man gar keinen Vertrag darüber geschlossen hatte, und holte im April 1948 rückwirkend das Einverständnis von Vater Fritz ein. Gleichzeitig bereitete Rowohlt gemeinsam mit Meyer-Marwitz die Edition des «Gesamtwerks» vor, das in erster Linie eine Zusammenfassung der vorhandenen Bücher darstellte. Der Verlag setzte damit ein Zeichen: Werkausgaben werden gewöhnlich erst herausgegeben, nachdem ein Autor seinen Platz in der Literaturgeschichte gefunden hat.
Die von Ernst Rowohlt
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