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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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Überbleibsel, an dem dann auch das Kind nie mehr so recht eine Freude gehabt hatte, lag eines Tages in seinem Käfig, verendet neben einem Salatblatt. Ein Kätzchen kam, wie es hieß, wegen einer Allergie gegen Katzenhaare nicht in Frage, außerdem gab es schon eine Katze, eine aus bemaltem Gips auf dem Fenstersims. Schlangen oder Spinnen schieden aus, kein Kommentar! Sein letzter Kumpan war dann ein Hund gewesen, die Miniaturausgabe eines Hundes, besser gesagt, ein kleiner kläffender Wollknäuel, dem, ein halbes Jahr nach seiner Anschaffung, der Vorderreifen eines Autos zum Verhängnis wurde.
    Er sah, nachdem es passiert war, elend aus, armselig. Im Glauben, in Gott den Schuldigen gefunden zu haben, schwänzte er einige Wochen lang den Religionsunterricht, nur den, nur immer diese eine Stunde, was Chuck, als er davon erfuhr, für ein ermutigendes Zeichen von höherer Intelligenz hielt, und ihn lobte! Und sich von ihm dann die ganze Geschichte erzählen ließ. Und wie einfach sie war! Sie handelte davon, daß, nicht weiter verwunderlich in einer Religionsstunde, von Gott die Rede war. Er habe sich, sagte er, weiter nicht eingemischt, aber dann doch! Ein Spatz, der tot vom Ast fällt, auch der entgeht nicht Gottes Aufmerksamkeit! Es war dieser Satz, der ihn wachrüttelte. Ein Satz, den sie kommentieren sollten. Während die einen nur gelacht, andere brav ihre Füller gezückt hätten, sei ihm, sagte er, schlecht geworden, so schlecht, daß er glaubte, sich übergeben zu müssen, und er sei wortlos aufgestanden, rausgerannt an die frische Luft und erst zur nächsten Stunde wieder zurückgekommen.
    Gott sollte sich eben nicht selbst ans Steuer setzen. Nicht einmal nüchtern. Armes kleines Lebewesen, etwas nur noch für die Mülltonne. Er verstand seinen Sohn, seinen Zorn, seine Ratlosigkeit. Was habt ihr eigentlich mit ihm gemacht?
    Mama hat ihn genommen und beerdigt. Ich war nicht dabei.
    Wie hat sie das gemacht, ihn beerdigt? Wie beerdigt man einen Hund?
    Keine Ahnung.
    Glaubst du, sie hat ihn einfach irgendwo vergraben?
    Keine Ahnung. Frag sie.
     
    Zum ersten Mal kam er damals, ohne es vor seiner Mutter verheimlichen zu wollen, mit einer Flasche Bier nach Hause, schmiß sich auf sein Bett und drehte die Musik, die ohnehin immer lief, noch lauter. Einen Teil der Hundeleine trug er immer noch, als Armband.
    Chuck hörte sich das alles an, auch die Vorwürfe. Nicht nur sein Gott war ein Feigling, auch sein Vater war einer.
    Das kommt davon, sagte sie. Liegt mit einer Flasche Bier auf dem Bett! Der Fernseher läuft, die Musik läuft! Und die ganze Zeit hängt er am Telefon! Als ich reinkam, schaute er mich an und sagte: »Raus, das ist mein Zimmer!«, setzte die Flasche, die schon fast leer war, an den Mund und trank. Es war ihr der Schock immer noch anzumerken, die Wut über ihre Hilflosigkeit, sich nicht wirklich und wirksam gegen derartige Unverschämtheiten wehren zu können. Ich habe mich geekelt. Ich habe mich vor meinem eigenen Kind geekelt.
    Und dann hast du die Polizei gerufen.
    So ungefähr war mir, ja. Der Junge ist gerade mal zwölf. Zwölf, mein Gott. Ein Kind! Ihr brach fast die Stimme.
    Chuck behielt, was er dachte, für sich und kommentierte auch nicht ihre Überzeugung, man habe es hier mit dem Ernstfall einer Katastrophe zu tun. Er hatte es hinter sich. Es gab keine Vergangenheit, außer daß sie gemeinsam ein Kind hatten.
    Was soll ich tun? Ich weiß nicht, was ich tun soll, sagte sie. So wie sie sich anhörte, mußte es für sie eine Qual sein, sich das eingestehen zu müssen.
    Tu nichts! Laß ihn, sagte Chuck. Gib ihm Zeit. Laß ihn drüber wegkommen, allein. Er ist ein guter Junge.
    Er hätte sich gewünscht, daß sie dem, was er sagte, zustimmt,aber sie sagte nichts. Sie war wütend. Sie war über so vieles, was mit ihr geschehen war, wütend. Sie war jung. Sie hatte nebenbei auch noch ein privates Leben, und auch dafür kaum Zeit.
    Es gibt, sagte er, ein untrügliches Zeichen dafür, ob einer ein guter Junge ist. Er wollte ihren Ehrgeiz wecken, den Weg zurück zu einem vernünftigen Gespräch mit ihm zu finden, aber sie machte sich nicht die Mühe. Willst du wissen, welches?
    Nein.
    Daß er einem in die Augen schauen kann! Und unser Kind kann es. Es kann es auch in für ihn unangenehmen Situationen. Also beruhige dich.
    Nein, den Gefallen tat sie ihm nicht, nicht ums Verre¸cken. Sie gönnte ihm den Triumph nicht. Er sollte sich schämen, nicht triumphieren.
    Vater, Mutter und Kind, das waren

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