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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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Zuwendung, sind hilflos ohne Anerkennung. Sie belagern dich mit dummer, unerbittlicher Zähigkeit. Sie sitzen da, bis man tot ist. Und sterben dann selbst – an gebrochenem Herzen. Ganz anders Katzen. Die haben's kapiert. Kein Mitleid! Keine überflüssige Bewegung. Nichts als warme wohlige Ruhe. Die vollkommene Vollkommenheit. Die einzige Art von Faulheit, die funktioniert. Hunde wedeln mit dem Schwanz, Katzen malen damit ein Lächeln in die Luft. Das ist der Unterschied. Wer immer es war, der gesagt hat: Man sieht eine Katze und weiß, was einem fehlt – er hatte recht.
    Er hörte den Wecker ticken. Er hörte das gleichbleibend leise Summen des Eisschranks lauter und lauter werden. Das Zimmer, in dem er saß, veränderte sich, wurde heller und dunkler, kleiner und größer. Er kannte das. So war das, wenn er auf Drogen war, auf Zeug, das nichts taugte, kurz vor einem Kollaps. Es gab keinen Ausweg aus einem Körper, der glühte und kochte. Ein Körper, der unbrauchbar geworden war, um sich in Sicherheit zu fühlen. Alles in ihm war in sinnloser, kräftezehrender Erregung. Es war die richtige Uhrzeit, um auf eine Tür zu starren, auf die Nacht jenseits des Fensters, auf eine Tischkante, das Muster im Holz eines Stuhls. Es war überhaupt Zeit, sich zu fragen, welche der vielen Zigaretten, die er angezündet, kaum angeraucht und wieder ausgedrückt hatte, die richtige war. Es dauerte einige Zeit, bis er, nachdem er das Fenster geöffnet und frische Luft geatmet hatte, wieder klar denken konnte. Aber was denken? Was war das für eine Geschichte, die seine Routine, die Stille, das Glück, die Sicherheit seines Alleinseins bedrohte?War einer, der allein war, nicht vollständig genug? War alles falscher Alarm, ein Irrtum? Er konnte sich an nichts erinnern, was aus einem bald alten Mann und einem jungen hübschen naiven Mädchen zu Recht Vater und Mutter eines Kindes machen sollte, kein zärtlicher Brief, kein unvergeßlicher Kuß, kein Versprechen.
    Er war verzweifelt genug, die richtige Entscheidung zu fällen. Er setzte sich hin und schrieb der Katze, die nicht da war, einen Brief.
    Hier ist er.
     
    Sag, Katze, sag mir, was du weißt,
    wie einem das Herz heil bleibt, und
    niemand stirbt, und alles, was stirbt,
    leicht ist, einer Freude ähnlich,
    die ich nicht kenne?
     
    Kämpfe verliert man, Spiele gewinnt man – schrieb sie zurück.
     
    Nein, die Sache war nicht gut gelaufen, seine Geschichte mit dem Mädchen nicht, ein Mädchen, das ihm, als er es zum ersten Mal gesehen und angesprochen hatte, wie etwas Blühendes, etwas berührend Unschuldiges, etwas noch kaum Berührtes erschienen war, und die mit dem Kind auch nicht. Er hatte nie ein aufrichtiges Interesse an dem aufbringen können, wer sie war, was sie dachte, was sie gemacht hatte oder in Zukunft zu tun vorhatte. Sie war immer nur Teil einer anderen größeren Mission gewesen. Sie war das Symbol seiner Aussöhnung mit sich selbst. Hätte er sich finanziell eine Entzugsklinik leistenkönnen, er hätte sich einweisen lassen. Er hatte mit einem, der in einer einsaß, bereits telefoniert, ein langes Ferngespräch nach Frankreich. Es sei hart, aber zauberhaft, hatte der gesagt und ihn eingeladen, nach Quiberon zu kommen und ihm Gesellschaft zu leisten. Es seien, sagte er, jede Menge interessanter Leute da, tout le monde . Und überall hingen Fotos von Romy Schneider herum. Er lachte, es ging ihm gut, er würde allerdings, wie er sagte, liebend gern wieder rückfällig werden. Er war wohlhabend genug (und als Theaterregisseur gut genug im Geschäft), um sich seinen Humor leisten zu können (für den, besser gesagt: für das Gespür dafür, waren seine leisen, immer leicht schwebenden Inszenierungen berühmt). Chuck dagegen war der Humor vergangen, er stand im Sumpf und der Boden unter seinen Füßen gab mehr und mehr nach. Er sank tiefer und tiefer ein und mußte selbst sehen, was zu schaffen war – und wie. Das damals stille, fast stumme, von seinem Antrag überraschte Mädchen war sein Schutzengel gegen mächtige Dämonen gewesen, mächtiger, gefährlicher als die der Liebe. Und auch das war sie gewesen: seine letzte Chance, sich vor dem Tod in Sicherheit zu bringen. Grund genug, dankbar zu sein. Er fand es trotzdem nicht fair, daß eine Sache, die vorbei war, wieder zu atmen anfing.
    Aber was dann anfing zu atmen, war nicht vorbei, im Gegenteil. Es war lebendig, ein kleines neues Leben, ein Kind, ein Wunder. Es begann im gleichen Moment zu atmen, als auch

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