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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Wondratschek
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teilte, sie nicht einmal, wie es schien, zur Kenntnis nahm. Und doch dachte Chuck mit Wehmut an diese Bücher, und an all die anderen Bücher, die nie gekauft, nie benutzt, nie gelesen, nie gefressen oder verschlungen werden; Bücher, die ihr Leben fristeten wie Verurteilte, wie lebenslänglich Gefangene, gefangen in Geschenkpapier, versiegelt mit Schleifchen!
    Viel würde er seinem Sohn nicht vererben können, er besaß weder Ersparnisse noch Aktien noch eine Lebensversicherung, die Rechte an seinen Büchern waren nicht frei und einen reichen Onkel konnte er auch nicht aus dem Hut zaubern, aber immerhin das: eine Bibliothek – und eine Erinnerung daran, wie sie entstanden war. Er mußte selbst sehen, wie er damit klarkam, wie er mit eigenen Kindern, falls er welche haben würde, klarkam, mit einem, wie er einer gewesen war.
     
    Chuck nahm Bleistift und Papier und zeichnete einen jungen und einen alten Mann, und schob das Blatt dann seinem Sohn hin. Kommt dir das bekannt vor?
    Keine Ahnung! Es war ihm egal, wie ihm die Bücher, die er nicht las, egal waren.
    Der eine, sagte Chuck, der junge, wartet darauf, daß was passiert! Der andere, der alte, darauf, daß aufhört, daß was passiert.
     
    Vielleicht, weil er nun wirklich anfing, sich zu langweilen, oder das Gefühl hatte, irgend etwas nun doch noch zur Unterhaltung beitragen zu müssen, zog der Sohn ein Spiel Karten aus der Hosentasche, nahm eine auf und ließ sie durch die Zwischenräume seiner Finger wandern, wie Schlagzeuger es mit dem Stick tun; und es funktionierte! Er war offenbar selbst überrascht, schaute seinen Vater an, schaute ihm zum ersten Mal direkt in die Augen und strahlte. Er hatte den Augenblick erwischt, den einen, einzig richtigen Augenblick, wo etwas, das man sich zutraut, auch tatsächlich gelingt. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag zeigte er Temperament, was ihn fast verlegen machte. Eine Sache der Übung, sagte er trocken.
    Chuck gab ihm recht! Eine Sache der Übung, ja, und auch wieder nicht. Er dachte darüber nach. Schwer zu sagen, woran es liegt, wenn die Finger den Rhythmus nicht finden oder verlieren, die Karte fällt oder knickt, dachte Chuck. Wie entwickelt man ein Gefühl dafür, wann es riskant und deshalb wahrscheinlich schiefgehen wird? Und wie man, bevor es passiert, reagieren muß? Und wann man, es gibt solche Tage, von Spielkarten lieber gleich ganz die Finger läßt, weil es für Kunststücke dieser oder einer anderen Art der falsche Zeitpunkt war? Das ganze Leben war so. Die Kunst, wie man etwas beim zweiten, dritten Mal wie beim ersten Mal hinkriegt.
    Den Dreh, wie man ein Blatt mischt, hatte er auch schon raus. Wie man sich, schön der Reihe nach, zuerst von der Vollständigkeit der Karten überzeugt, sie dann unter dem Dach der gewölbten Hände wieder zu einem Päckchen aufhäufelt, die Kanten mit den Fingern abtastet, es teilt, genau in der Mitte, und, was das Wichtigstedabei war, wie er seinem Vater erklärte, nicht hinschaut, niemals, weder auf die Karten noch auf die Hände; was wie im Kino war, wenn Männer, die Spieler sind, zusammensitzen. Seine Stimme klang plötzlich, als käme sie aus dem Zentrum seines Selbstvertrauens. Als er fertig war, fiel ihm noch was ein! Das Päckchen, bevor man es zurück in die Tischmitte schob, noch mit zwei Fingern der rechten Hand abzusegnen. So! Es sah, wie er es machte, leicht aus, elegant, richtig professionell.
    Er beendete die Vorstellung mit der Andeutung einer Verbeugung.
    Und auf die reagierte Chuck und applaudierte und dachte, so viel auf einmal hat der Junge schon lange nicht mehr von sich gegeben. Die Freude darüber verschmolz mit der Erkenntnis, daß so vieles, was der Drogenkonsum bei ihm außer Kraft gesetzt hatte, zurückgekehrt war: Freundlichkeit, Seelenruhe, Geduld. Die Bereitschaft, sich zu freuen, war zurückgekehrt, die Empfänglichkeit für die Freude anderer, die Genugtuung darüber, nüchtern zu sein. Er war der Hölle entkommen – und in guten Händen, den Händen eines Kindes.
    Sein Sohn war auch sonst geschickt. Er war kein schlechter Scrabble-Spieler und gewann bald mühelos jedes Spiel – und wenn er doch mal verlor, war das kein Problem, er bestand nicht einmal auf einer Revanche. Wenn sie Backgammon spielten, fielen die Würfel, wie er wollte. Es gefiel ihm, daß es so war. Es gefiel beiden.
    Viel hätte nicht gefehlt, und der Sohn hätte seinem Vater jetzt am liebsten seine Kopfhörer, mit denen er ohnehin schon die ganze Zeit herumhantiert

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