Das Geschenk
Gliedmaßen genußvoll erschlaffen ließ. Sie verspürten kein Verlangen, sich bei dieser Beschäftigung, jedenfalls so lange nicht, wie es draußen hell war, stören zu lassen. Und so sah der von sorgloser Müdigkeit schläfrige Gesichtsausdruck von Chucks Sohn auch aus. Was soll der Aufwand, für das Interesse, das ein Vater an seinem Sohn hat, Verständnis aufzubringen?
Was man zu fassen kriegte, war wenig, ein paar Sätze, Bruchstücke von Sätzen, gesprochene Scherben, Reste eines alles abwehrenden Schweigens, als gelte es, einem Gesetz der Geheimhaltung zu gehorchen. Aber es war in Ordnung. Er war sein Sohn. Wenn sie sich umarmten, war, was er hielt, sein Leben, sein eigenes.
Der Sohn wußte, daß sein Vater Schriftsteller war oder, wie es auch schon in Zeitungen gestanden hatte, ein Dichter. Jedenfalls schrieb er Bücher und war offenbar nicht ganz unbekannt. Eine seiner Geschichten war sogar einmal im Deutschunterricht dran gewesen; nicht geradeein Grund, sich wohl zu fühlen, weil der Lehrer immer nur ihn angeschaut und wie selbstverständlich vorausgesetzt hatte, daß ihm, dem Sohn eines Dichters, dazu eine Menge einfallen müßte. Pustekuchen! Er hatte keines der Bücher seines Vaters gelesen, nicht eine einzige Seite, und keines der Bücher, die ihm sein Vater mit lästiger Regelmäßigkeit anläßlich seiner Geburtstage in die Hand gedrückt und zu Weihnachten zu den anderen Geschenken gelegt hatte, auch nur aufgeschlagen; er hatte sie nicht einmal ausgepackt.
Gut, packte er sie eben nicht aus. Chuck hatte kein Problem damit, auch nicht mit dem Ach-du-liebe-Scheiße-nicht-schon-wieder-Gesichtsausdruck, mit dem sein Sohn die Prozedur an den Fest- und Geburtstagen über sich ergehen ließ.
Aber da war auch jenes kleine, liebenswert schüchterne Lächeln, das um so kostbarer war, weil es erst das Paar Grübchen zum Vorschein brachte, das nicht zu küssen so schwerfiel.
Tatsächlich war das Ganze im Lauf der Jahre zu einem Spiel zwischen ihnen geworden, zu einem Ritual, einem der Höflichkeit und der Wahrheit. Ein Vater verschenkt Bücher an seinen Sohn, die der nicht liest, wobei es zwischen den beiden kein Geheimnis ist, daß sie wissen, daß es so ist, die Sache aber, so wie sie ist, respektieren, und damit ganz ungezwungen umgehen. So, als Chuck einmal wissen wollte, was er sich zum Geburtstag wünsche, und der Sohn nur antwortete: daß er ausfällt! Ich schenke dir auch nichts, schlug er vor, wenn du aufhörst, mir was zu schenken!
Er wird sie wohl oder übel zu den anderen stellen,zu einer mittlerweile recht ansehnlichen Reihe von Büchern, einer kleinen Bibliothek beinahe, alle sorgfältig aufgereiht auf einem ansonsten leeren Regal (in einem ansonsten alterstypischen chaotischen Durcheinander!). Immerhin das aber waren sie ihm wert, dachte Chuck, ein eigenes Regal, das in diesem Saustall von Zimmer einem Altar glich, wenn auch dem eines Ungläubigen, einer eigens eingerichteten kleinen Bühne, einer Bühne für Bücher. Das war natürlich übertrieben, aber nicht ganz. Er hatte sie zumindest, gut sichtbar, vor dem Zugriff der Zugehfrau in Sicherheit gebracht, die einmal die Woche kam und rücksichtslos alles, was in seinem Zimmer auf dem Boden herumlag, in die Waschmaschine packte.
Tatsächlich war aus der Sache inzwischen so etwas wie eine kleine Komödie geworden, in der mitzuwirken bald beiden sogar irgendwie Spaß machte. Es entging dem Sohn nämlich durchaus nicht, daß der Vater die Liebenswürdigkeit besaß, ihn nicht zu tadeln, ihm keine Erklärung abzuverlangen, weshalb er sie nicht auspackte und las, und das womöglich noch mit dem strengen strafenden Blick eines enttäuschten Erwachsenen, der sich nicht nur Sorgen um ihn, sondern gleich auch noch um den Geisteszustand einer ganzen Generation machte – was er cool fand. Nichts ging über einen Vater, der cool war! Und das, fand er, war sein Daddy. Er ließ nie auch nur die kleinste Bemerkung fallen, es könne einer, der sich nicht für Bücher interessiere, im Irrtum sein. Er war auch keiner, der wütend hin und her marschierte, einem andauernd die Kleidung zurechtzupfte oder damit drohte, das Taschengeld zu kürzen oder ganz zu streichen. Er beleidigteeinen nicht mit Vorwürfen. Er trieb einen nicht mit gutem Zureden oder gut gemeinten Lebensweisheiten oder Sätzen wie »Ich bin ein ganzes Stück älter als du« zur Verzweiflung. Es lag keinerlei Herablassung in seinem Benehmen einem Sohn gegenüber, der seine Interessen nicht
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