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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kruppa
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sich nicht mehr zum wahren Leben bringen.«
    »Ist es möglich, die Menschen aus ihrer Unfreiheit zu befreien?«
    »Nein. Die in der allgemeinen Verwirrung Gefangenen können sich nur aus eigenem Antrieb und aus eigener Kraft befreien, Yu Lin. Manchen kann man immerhin helfen, sich ihrer Unfreiheit bewußt zu werden. Doch in der Regel scheitert man an der Macht der Gewohnheit. Öffne zehn Vögeln, die schon seit langem in Käfigen leben, für eine Weile die Käfigtüren. Neun von
ihnen werden auf ihren Stangen sitzen bleiben, als sei nichts geschehen. So ist es auch mit den Menschen. Sie haben vergessen, daß es Freiheit gibt. Sie haben vergessen, daß ihre Seelen fliegen können, und hocken wie gelähmt in den Käfigen ihres Lebens. Öffnet man ihnen die Tür durch das richtige Wort zur rechten Zeit, stellt man fest, daß die allermeisten die Sicherheit der gewohnten Gefangenschaft den Unwägbarkeiten der vergessenen Freiheit vorziehen.«
    Mit einem Seufzer stand Tschuang Tse auf und ging zu den Pferden. Yu Lin und Min Teng folgten ihm.

DIE GEFÄHRLICHKEIT DER MASCHINEN

    Sie waren noch nicht lange geritten, als sie unweit des Weges einen älteren Mann in dem Gemüsegarten vor seinem Haus sahen, der einen Krug in den Armen hielt. Offensichtlich hatte er damit Wasser aus seinem Brunnen geholt.
    »Ich werde den Mann um Wasser bitten«, sagte Min Teng, »denn unsere Feldflaschen sind fast leer.«
    Die Reisenden zügelten ihre Pferde und lenkten sie auf den alten Mann zu, der die Ankömmlinge nicht bemerkte, weil er ganz vertieft in seine Arbeit war. Immer aufs neue stieg er in seinen Brunnen hinab, brachte den Krug mit Wasser herauf und goß es in die Gräben aus, die er zur Bewässerung seiner Gemüsepflanzen angelegt
hatte. Er bemühte sich sehr und brachte doch nur wenig zustande. Erst als die Reiter ihre Pferde wenige Schritte vor ihm anhielten, bemerkte der Mann sie und sah auf.
    Min Teng grüßte ihn höflich. »Darf ich dich um etwas Wasser für uns bitten?«
    Der alte Mann nickte freundlich, nahm bereitwillig die Feldflaschen entgegen, füllte sie mit Wasser aus seinem Krug und reichte sie zurück.
    »Danke«, sagte Min Teng. »Warum machst du dir eigentlich so viel Arbeit? Weißt du nicht, daß es ein Gerät gibt, mit dem man an einem Tag hundert Gräben bewässern und so mit wenig Mühe viel erreichen kann?«
    Der Gemüsegärtner antwortete nicht.
    »Es handelt sich dabei um einen hölzernen Hebelarm, der hinten beschwert und vorne leicht ist«, erklärte Min Teng. »Man nennt diese Vorrichtung einen Ziehbrunnen.«
    Als der Gärtner immer noch schwieg, als hätte er ihn nicht verstanden, fragte Min Teng: »Möchtest du nicht ein solches Gerät anwenden?«
    Der Gärtner wischte sich den Schweiß von der Stirn und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Wenn einer Maschinen benutzt, so betreibt er bald alle seine Geschäfte maschinenartig. Wer aber seine Geschäfte maschinenartig betreibt, der bekommt bald ein Maschinenherz. Wer ein solches Herz in der Brust hat, verliert die reine Einfalt. Und wer die reine Einfalt verloren hat, wird unruhig und ungewiß in seinem Geist. Ich kenne den Ziehbrunnen, ein Mann im Nachbardorf besitzt einen, aber
ich schrecke davor zurück, mir eine solche Maschine anzuschaffen.«
    »Hat der Mann im nächsten Dorf, der einen Ziehbrunnen anwendet, dadurch ein Maschinenherz bekommen?« fragte Tschuang Tse.
    Der Gärtner kratzte sich am Kinn. »Ich kenne ihn nicht gut genug, um zu beurteilen, ob sich sein Herz verändert hat.«
    »Die Dinge, mit denen man im täglichen Leben umgeht, haben ohne Zweifel einen Einfluß auf das Herz«, sagte Tschuang Tse. »Du gehst unentwegt die Stufen zu deinem Brunnen hinunter und herauf, um deinen Garten zu bewässern. Befürchtest du nicht, daß du dadurch ein Stufenherz bekommst?«
    Der alte Mann warf Tschuang Tse einen überraschten Blick zu und schüttelte dann den Kopf. »Stufen sind doch keine Maschinen! Maschinen beruhen allesamt auf einer List, auf einer durch berechnendes Denken entstandenen Überlistung der Natur, und diese List kann die Unschuld des Herzens leicht zerstören. Erst benutzt man Maschinen, dann gewöhnt man sich an sie, mit der Zeit wird man ihnen ähnlich. Schließlich wird man von ihnen abhängig, und nicht nur die Einfalt des Herzens, sondern auch die Freiheit ist dahin. Deshalb schöpfe ich mein Wasser lieber mit einem Krug aus dem Brunnen. Ich habe damit zwar meine Mühe, aber mein Herz bleibt ungefährdet.«
    »Stufen sind

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