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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zur Tür stand sie, die Fäuste vor dem Mund und die Zähne in die Fäuste gegraben.
    Erich Schwabe blieb an der Tür stehen. Uschi, dachte er, meine kleine Uschi. Das Schiffchen fiel ihm aus der Hand, sein lippenloser Mund verzerrte sich, er wollte etwas sagen, nur ein Wort: Uschi. Aber es kam kein Laut aus seiner Kehle, nicht einmal ein Röcheln oder ein Stammeln. Es war ein lautloser Schrei, der tief unten in der Kehle bereits erstickte.
    »Er ist da«, sagte Major Braddock heiser. »Schön sieht er nicht aus, aber stumm ist er bestimmt nicht.«
    Dann ging er hinaus, schloß die Tür hinter sich und winkte die beiden MP-Riesen weg, die draußen Wache hielten. »Der läuft nicht weg«, sagte er, zündete sich eine Zigarette an und ging auf dem Flur hin und her, die Hände auf dem Rücken und mit gesenktem Kopf.
    Erich Schwabe stand noch immer an der Tür. Sein Blick glitt über die schmale Gestalt mit den unordentlichen, verstaubten blonden Locken, den verblichenen Socken und den dicken Schuhen, die gar nicht zu den kleinen Füßen und den schlanken Fesseln paßten. Einen grauen, fleckigen Wollrock hatte sie an und eine blaue Baumwollbluse, übersät mit Rußflecken.
    »Uschi«, sagte Schwabe leise. »Uschi, dreh dich um.«
    Durch Ursulas Körper rann es eiskalt. Sie hörte die Worte, aber es war nicht Erichs Stimme. Es war eine dumpfe, kehlige, fremde Stimme. Eine Stimme, die wie durch einen verstopften Trichter sprach, ohne Schwingungen, ohne Klang.
    »Uschi«, sagte Schwabe noch einmal, ganz leise.
    Mit einem Aufschrei drehte sie sich um. Nur eine Sekunde lang sah sie den verbundenen Kopf, das kreuz und quer mit Leukoplaststreifen verklebte Gesicht, einen flachen, verharschten Mund … und seine Augen sah sie, blau, wie sie immer gewesen waren, und seine Haare lagen über der verbundenen Stirn, blond und wirr wie immer, so ungebändigt, daß er früher, an Sonntagen, wenn sie zum Tanzen gingen, Pomade darüberstreichen mußte, damit sie hielten.
    Wie das Aufblitzen eines Lichts in einem dunklen Raum war das alles, ein zuckendes Erkennen und Begreifen. Dann warf sie die Arme vor und stürzte auf ihn zu, und sie schrie »Erich! Erich!« und fiel gegen ihn, umklammerte ihn und tastete nach seinem Kopf. Verbände, Leukoplast, narbige Haut. »O mein Erich!« schrie sie wieder, und dann zog sie den Kopf herunter und küßte den lippenlosen Mund und spürte, wie die Narben gegen ihre Lippen drückten und wie nichts da war, keine Wärme, keine Weichheit, nichts, nichts …
    »Ich liebe dich, Erich!« schrie sie. »Nun bin ich bei dir und bleibe bei dir. Immer … immer … immer …« Und dann wurde ihr Körper schlaff, ihr Kopf sank von Schwabes Mund weg und fiel gegen seinen Hals. Sie hing in seinen Armen, ohnmächtig und in der Ohnmacht verzweifelt nach Luft ringend, als ersticke sie.
    »Sanitäter!« brüllte Schwabe. Er trug Ursula zu Braddocks Schreibtisch und legte sie darauf wie auf einen OP-Tisch, mitten auf die Papiere und Akten. Dann rannte er zur Tür und riß sie auf. »Sanitäter!« schrie er grell. »Hilfe! Hilfe!«
    Braddock raste den Flur entlang zum Schulraum. Die beiden MP-Männer folgten ihm. Schwabe kniete schon wieder neben Ursula. Er hatte ihr die Bluse aufgerissen und massierte wie wild ihre kleine Brust, bewegte ihre Arme auf und nieder und rief immer wieder ihren Namen, mit einer kindlich schrillen, in der Angst zerreißenden Stimme.
    Major Braddock ergriff Schwabe am Kragen und stieß ihn zur Seite. Er taumelte gegen einen Stuhl, verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.
    »Sie stirbt!« schrie er grell.
    »Blödsinn!« Braddock legte Ursulas Kopf auf seinen Unterarm. Mit der Linken holte er seine Whiskyflasche, entkorkte sie mit den Zähnen und setzte die Flasche an Ursulas farblose Lippen. Die beiden MP-Männer klopften mit geübten Griffen, als handele es sich um einen bewußtlosen Kameraden, den nackten Oberkörper und massierten den Hals, bis Ursula Schluckbewegungen machte und der scharfe Alkohol in den schlaffen Körper rann.
    James Braddock sah zu dem noch immer auf der Erde sitzenden Schwabe. »Tut mir leid, boy«, sagte er. »Aber nun werden Sie eine betrunkene Frau wiedersehen. Hat auch seine Vorteile, gerade in Ihrem Fall.«
    Nach einigen Schlucken kehrte die Farbe in Ursulas Gesicht zurück. Braddock setzte die Flasche ab. Er knöpfte die Bluse über Ursulas Brust wieder zu, hob den schmalen Körper vom Schreibtisch und setzte ihn in den Sessel. Dort schlug Ursula wieder die

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