Das geschenkte Gesicht
Flusen von der Feldbluse, auf deren Rückenseite ein dicker Negersoldat gleich nach dem Einmarsch mit weißer Farbe ein großes POW gemalt hatte.
»Ich fahre mit Ihnen nach Bernegg«, sagte Lisa. Sie freute sich mit Schwabe und empfand jetzt ein dumpfes Gefühl im Magen. Wird es gut gehen? dachte sie. Eine Entscheidung würde fallen, das war sicher. Ein Tag begann, der über ein ganzes weiteres Leben entschied. »Wenn Sie sich umgezogen haben, kommen Sie in den OP I. Ich mache Ihnen einen Verband, daß Sie wie eine Schönheit aussehen!«
Walter Hertz, der am Fenster stand, hob beide Arme. »Der Amiwagen kommt! Los, beeil dich, Erich!«
»Wo sind meine Socken?« schrie Schwabe. »Ich habe sie gestern noch gestopft!«
Man fand auch die Socken. Es dauerte lange, denn sie lagen in einem zusammengeklappten Schachspiel. Baumann erschien und rief: »Schwabe zum Verbinden!«
»Meine Socken!« brüllte Schwabe. »Himmel, Arsch und Zwirn! Wer hat die in das Schachspiel gelegt!«
Er war es selbst gewesen, denn Stopfgarn und Nadel lagen noch dabei.
Endlich stand Schwabe mit Hilfe der ganzen Stube ausgehfertig im Zimmer. Das beste an ihm war der Hosenkniff. Auf dem Flur hörte man laute englische Worte, Baumann in der Tür winkte heftig.
»Die Amis warten nicht gern. Reiß dich los!«
»Viel Glück, Junge«, sagte Fritz Adam und drückte Schwabe die Hand.
»Und det mir ooch 'n Junge dabei 'rauskommt!« rief der Berliner.
Walter Hertz klopfte Schwabe stumm auf die Schulter. Dann wandte er sich ab und ging zum Fenster. Er mußte an Petra denken, und es zerriß ihm das Herz.
Erich Schwabe taumelte hinter Baumann her zum OP I. Dort wartete Lisa Mainetti bereits. An der Wand standen zwei baumlange amerikanische Soldaten. Auf ihren Helmen stand in weißer Leuchtfarbe MP. Wie Cowboys trugen sie ihre schweren Pistolen in langen Halftern, die gegen die Kniekehlen schlugen.
»Wir werden Sie mit Leukoplast vollkleben«, sagte Dr. Mainetti, »und um die Nase legen wir einen schönen, weichen Verband.«
Schwabe setzte sich auf den Verbandsstuhl. »Machen Sie,wie es richtig ist, Frau Doktor«, sagte er heiser vor Erregung. »Sie können alles verbinden – nur nicht die Augen.«
»Und den Mund, Schwabe. Sonst können Sie die kleine Frau ja nicht küssen.«
»Mit dem Mund?« sagte Schwabe kaum hörbar.
Lisa schwieg. Baumann reichte ihr die Verbände und Leukoplaststreifen. Nach wenigen Minuten sah Schwabe in einen Spiegel, den ihm Dr. Mainetti hinhielt.
Es war der über und über verpflasterte Kopf eines Verwundeten. Mehr nicht. Man sah keine Verstümmelungen mehr, man ahnte nicht einmal, daß unter diesen rosa Streifen und weißen Mullappen ein abrasiertes Gesicht lag. Nur der Mund war frei. Ein narbiger, verharschter, eingezogener Mund. Schwabe sah lange in den Spiegel.
»Muß der Mund frei sein?« fragte er dann leise. Lisa nickte.
»Sie wollen doch mit Ihrer Frau sprechen. Sie sieht ja sonst nichts von Ihrem Gesicht.«
Schwabe wandte sich ab. Einer der MP-Männer winkte und grinste breit. »Come on!« sagte er.
Schwabe blieb in der Tür des OP stehen. Er wartete auf etwas. Lisa Mainetti stand am Instrumententisch und räumte die Scheren zusammen.
»Sie wollten doch mitkommen, Frau Doktor?« sagte er.
Lisa sah kurz auf. »Ich wollte es ja, Schwabe. Aber der Major hat nur Ihnen Ausgang gegeben. Ich muß hierbleiben. Ich darf nicht mit nach Bernegg!«
Schwabe rührte sich nicht. Die beiden MP-Männer hinter ihm kauten ihren Kaugummi und grinsten verständnislos.
»Was soll ich denn ohne Sie bei Uschi«, stammelte Schwabe. »Sie – Sie wollten ihr doch vorher sagen, wie ich aussehe. Ich kann doch nicht so ohne weiteres …«
»Sie werden es können, Erich«, sagte Dr. Mainetti. Güte und Aufmunterung waren in ihrer Stimme. »Packen Sie das neue Leben mit beiden Händen, und lassen Sie es nicht mehr los. Haben Sie Mut, und wenn es der Mut der Verzweiflung ist. Für eine ehrliche Liebe darf es einfach kein Unmöglich geben.«
Schwabe nickte stumm. Er schluckte ein paarmal, dann drehte er sich um und ging vor den beiden MP-Riesen die Treppe hinunter. Ein schmaler, nach vorn gebeugter Mann mit dem weißen, leuchtenden POW auf dem Rücken. Es sah so aus, als sei es eine schwere Last, die er trug.
»Jetzt fahren sie ab«, sagte Walter Hertz, der oben am Fenster stand. »Mensch, haben die ein Tempo drauf.«
Fritz Adam saß auf seinem Bett und sah vor sich auf den Boden. »Vielleicht ist es dumm, Jungs«, sagte er
Weitere Kostenlose Bücher