Das geschenkte Gesicht
Haare erkennt.
Ursula sah ihn noch immer an, stumm, unbeweglich, wie eine Puppe aus Wachs. Nur das Heben und Senken ihrer kleinen Brust bewies, daß Leben in diesem weißen, nackten Körper war.
Das ist Erich, dachte sie. Mein Mann Erich. Er hat den Krieg überlebt und sein Gesicht dabei geopfert. Und ich habe ihn betrogen, zwei Tage und zwei Nächte lang. Betrogen aus Angst vor der Einsamkeit, aus Verzweiflung, aus Gier nach Wärme und Glück, aus Sehnsucht nach ein wenig Vergessen. Er könnte es nie begreifen, wenn ich es ihm sagte. Sie würden für immer zwischen uns bleiben, diese zwei Tage Selbstbetrug.
Sie zwang sich, sich tiefer über das verbundene und verpflasterte Gesicht zu beugen. Wie es unter den Verbänden aussah, konnte sie ahnen, wenn sie den Mund betrachtete. Wie ein Ungeheuer muß er aussehen, dachte sie und zog die nackten Schultern zusammen. Die Menschen werden zur Seite blicken, ein Kinderschreck wird er werden, ein herumgehender Alptraum: mein Mann Erich Schwabe.
Sie hob die Hand, und ganz sacht, damit er nicht aufwache, fuhr sie mit den Fingerspitzen über das verbundene Gesicht. Sie tastete über die neue Nase, über den lippenlosen, durch wulstige Narben fast verhornten Mund, über die abgehobelte Kinnspitze, und dann zurück über die Stirn, zu den abgerissenen Ohren, die Dr. Mainetti wieder angenäht hatte, aber die noch gerichtet und durch Knorpeleinpflanzungen wieder geformt werden mußten.
Rund um den Kopf strichen ihre zarten Finger, so wie ein Blinder seine Welt abtastet und damit in seinem Inneren ein Bild seines Lebensraumes schafft.
Als ihre Hand von seinem Kinn abwärts über seine Brust glitt, zuckten Schwabes Hände hoch und hielten Ursulas Finger fest. Wie Eisenklammern legten sie sich um sie. Ursula zuckte mit einem leisen Schrei zurück. Schwabe drehte den Kopf zu ihr, zur abgeschirmten Lampe, in das unbarmherzige Licht.
»Du – du schläfst nicht«, sagte Ursula stockend. »Warum schläfst du nicht, Erich?«
»Wie sehe ich aus, Uschi?« fragte Schwabe leise. Er blieb flach auf dem Rücken liegen, sah sie mit großen, bettelnden Augen an. Sein Blick glitt über ihren nackten, jungmädchenhaften Körper, über ihr schmales, süßes Gesicht, über die wilden blonden Locken. Bitte, bitte, sag etwas Liebes, flehte er stumm. Sag, daß du mich liebst. Es ist das Ende, wenn du mich wegstößt, das Ende.
»Wie sollst du aussehen, Erich?« Sie lächelte, und wenn es auch ein krampfhaftes Verzerren des kleinen Gesichtes war – es war ein Lächeln. Es war wie eine Sonne, eine herrliche, die Seele wärmende Sonne, ein Aufreißen des Himmels.
»Du bist eine Kugel aus Mull und Leukoplast.«
»Eine Kugel?«
»Ja. Weißt du noch – wir waren gerade zwei Monate verheiratet. Dein Freund Karl machte eine Fahrt mit dem Kegelclub nach Rüdesheim. Als er zurückkam, sah er so aus wie du. Er war betrunken über einen Schotterhaufen gefallen. Damals hast du gelacht und gerufen: Kerl, 'ne runde Kugel schiebt er, und als Mullkugel kommt er heim! Später hat man nichts mehr davon gesehen, bei dem Karl. Ganz glatt war sein Gesicht wieder.«
Schwabe hielt noch immer Ursulas Hand umklammert. Ihre Fröhlichkeit verwirrte ihn. Ist es Verzweiflung, dachte er, oder ist sie wirklich von jener kindlichen Sorglosigkeit, die Katastrophen hinnimmt mit dem Selbsttrost, es sei alles nicht so schlimm.
»Ich bin über keinen Schotterhaufen gefallen«, sagte er langsam. »Ich bin über eine Mine gefahren. Und in meinem Gesicht bleibt vieles zurück, nicht nur Narben. Ich werde einmal ganz anders aussehen. Ganz fremd. Begreifst du das, Uschi? Nur den Namen habe ich noch behalten.«
Sie schüttelte die Haare aus dem Gesicht und beugte sich über seinen Kopf. »Das ist nicht wahr«, sagte sie leise. »Die Augen sind noch von Erich Schwabe, und die Haare sind von Erich Schwabe, und die Brust und der Bauch, und die Schenkel und die Hände – es ist ja noch alles da von Erich Schwabe. Nur ein kleiner Teil ist anders geworden, ein bißchen von dem ganzen Erich Schwabe. Soviel ist ja noch da von ihm. Und sein Herz ist da – ich höre es ja, ich spüre es klopfen.« Sie legte den Kopf auf seine Brust und küßte die Herzgegend, schlang die Arme um ihn und preßte ihren kleinen, kalten Körper an ihn. »Es hat sich doch gar nichts geändert. Du bist doch da – du, mein Mann.«
»Ursula«, stammelte Schwabe mit erstickender Stimme. »Ursula, du weißt nicht, was du sagst.«
»Ich weiß, daß ich dich liebe,
Weitere Kostenlose Bücher