Das geschenkte Gesicht
Augen auf. Sie waren groß und glänzend und kreisten unkontrolliert in den Augenhöhlen.
»Groggy!« sagte Major Braddock sachverständig. »Hatte sicherlich nichts im Magen. Na, denn los, boys!«
»Wohin?« fragte Schwabe. Er hielt die schwankende Ursula fest und drückte ihren Kopf gegen seine Brust.
»Das werden Sie sehen. Wir machen eine kleine Fahrt.«
Mit dem Jeep fuhren sie aus Bernegg hinaus, die Hügelstraße entlang. Nach einigen Biegungen sah man auf einer Erhebung ein großes, stolzes Haus stehen, eine Villa im Jugendstil mit einem säulenverzierten Eingang.
»Da ist's!« sagte Braddock und zeigte auf die Wolfachsche Villa. »Die haben Platz genug.«
Der Jeep ratterte den steilen Weg hinauf und hielt vor der Terrasse. Die dicken, schmiedeeisernen Gittertore vor dem Eingang waren geschlossen. Vor allen Fenstern waren die Jalousien heruntergelassen. Das Haus war verlassen.
»Es geht um Höheres als um Gesetze!« sagte Braddock. »Macht auf, boys!«
Die beiden MP-Männer zerschlugen mit den Kolben ihrer Maschinenpistolen eine der Holzjalousien und das dahinter liegende Fenster. Sie kletterten in die verlassene Villa und öffneten von innen eine der Fenstertüren zur Terrasse. Major Braddock trat ein. Zufrieden sah er sich in dem großen, elegant eingerichteten Salon um.
»Ich wollte euch nur ein Zimmer geben, aber so ist es auch gut! Echte Teppiche, ein Flügel, tiefe Sessel. Ich wette, ihr werdet sogar Daunenbetten finden.« Er klopfte Schwabe auf die Schulter und nickte ihm zu. »Morgen früh um 10 Uhr holen wir dich wieder ab, boy. Nutz die Zeit!«
Er nickte den beiden Riesen zu, und über die Terrasse entfernten sie sich wieder. Kurz darauf hörte Schwabe das Aufheulen des Jeepmotors und das sich entfernende Geräusch der wild mahlenden Räder.
Sie waren allein, in einer fremden, gewaltsam aufgebrochenen Villa, ein Kriegsgefangener ohne Gesicht und eine schwankende, betrunkene Frau. Seine Frau.
»Uschi«, sagte er. »Uschi.« Er kniete vor ihr, und sie saß in einem der Kaminsessel und lächelte ihn an.
»Mir ist so komisch, Liebling.« Sie hob die rechte Hand und tippte mit dem Zeigefinger Schwabe auf die verbundene, neue Nasenwurzel. »Ein ganz buntes Gesicht hast du, ganz bunt, wie im Zirkus. Da … das sieht lustig aus.«
»Uschi«, stammelte Schwabe. »Uschi.«
»Uschilein ist müde …«, sagte sie mit einem Schmollmündchen. »Komm … bring Uschilein ins Bett.«
Und Erich Schwabe nahm seine Frau auf die Arme und trug sie durch das fremde Haus, bis er ein Schlafzimmer fand, darin ein Doppelbett mit weichen Daunensteppdecken und weißen Fellen auf dem Boden.
Mit zitternden Fingern entkleidete er Uschi und deckte sie zu. Dann saß er neben ihr und hielt die Hände, als müsse er sie in den Schlaf singen.
»Komm, Liebling«, lächelte Ursula und dehnte sich und rückte zur Seite. »Komm zu deinem Uschilein.« Ihre trunkenen Finger glitten über Schwabes Gesicht. »Und nimm die Maske ab, ja? Komm doch!«
»Mein Gott«, stammelte Schwabe. »O hilf, mein Gott.« Er fiel neben Ursula auf das Bett, vergrub das zerstörte Gesicht in die Kissen und weinte und krallte die Hände in das Bett und biß in das Kissen in wilder, zerstörerischer Verzweiflung.
12
In der Nacht wachte Erich Schwabe plötzlich auf durch das Gefühl, es sei Licht im Zimmer. Er hielt die Augen geschlossen, nur durch einen Lidspalt beobachtete er, was um ihn geschah. Ursula hatte die Nachttischlampe angeknipst und sie mit einem Tuch verdunkelt. Sie saß im Bett neben ihm, mit zerwühltem Haar, aber ihre Trunkenheit war verflogen, sie hatte jetzt klare Augen und saß ruhig, ohne zu schwanken, neben Schwabe. Sie hatte die Hände flach auf die Steppdecke gelegt und sah ihren Mann an. Stumm, mit einem starren Blick, der wie festgesaugt war an dem Kreuz und Quer der rosa Leukoplaststreifen.
Schwabe bemühte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, wie es ein Schlafender tut. Sein Herz begann wild zu zucken, der Hals wurde trocken, und bis in die Zehenspitzen hinein rieselte ein merkwürdiges, unerträgliches Kribbeln. Ruhig, dachte er verzweifelt, ruhig bleiben. Jetzt sieht sie mich richtig, und sie ist allein, sie braucht sich nicht zu verstellen, und niemand redet ihr gütig zu und versucht, mit Worten zu trösten, wo nicht zu trösten ist. Jetzt steht sie vor ihrer Entscheidung, jetzt weiß sie, wie das weitere Leben mit dem Glasergesellen Erich Schwabe aussehen wird, dem Mann, an dem sie nur noch die Augen und die
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