Das geschenkte Gesicht
Hof, konnte sie immer noch so viel Getreide anbauen, daß es zum Mehlreiben und zum Brotbacken reichte. Und tauschen konnte man natürlich. Für den Wastl waren allein die strammen Neger eine innere Plage.
»Wos mach' i, wenn's an Negerbuam kriagt?« fragte er öfter und kratzte sich den Schädel. »Stellt's euch vor, a Negerbua, der nachher Seppl Feininger heißt!«
Kaspar Bloch, der ›Gehörlose vom Dienst‹, wie man ihn nannte, versuchte seit dem 5. Mai vergeblich mit seinem Vater in Verbindung zu treten. Major Braddock hatte einen Bericht von Professor Rusch erhalten, in dem geschildert war, daß der Unteroffizier Kaspar Bloch alle Bedingungen für eine sofortige Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft erfülle, da sein Vater, der bekannte Psychiater Professor Dr. Thomas Bloch, als ›Opfer des Nazismus‹ gelte. Man habe ihm im Mai 1944 seine Praxis geschlossen, ihn als Chefarzt entlassen und ab Juli 1944 in eine Fabrik für Granatzünder ›kriegsdienstverpflichtet‹, weil Professor Bloch sich geweigert hatte, an sogenannten ›erbkranken‹ Kindern und später auch durch Kopfschüsse irrsinnig gewordenen deutschen Soldaten die Euthanasie vorzunehmen.
Kaspar Bloch wußte weder von diesem Schriftstück etwas noch von dem tragischen Schicksal seines Vaters. Er hatte immer Briefe nach Bernegg bekommen, in denen Professor Bloch schrieb, es gehe ihm gut, nur die Arbeit in der Klinik nehme überhand und Mutter mache sich Sorgen um seinen Gesundheitszustand, bis in die Nacht hinein halte ihn oft die Klinik fest, und andere fromme Lügen mehr.
Major Braddock hatte Ruschs Schriftstück eingehend studiert und an das Oberkommando weitergeleitet. Von da an war Schweigen. Niemand wußte, wo Professor Bloch war. Man hatte gesehen, daß er mit einem Militärkommando weggefahren war. Frau Bloch war einen Monat vorher nach Norddeutschland gefahren. Zu Verwandten, hatte sie den Nachbarn erzählt. Aber eine Adresse wußte man nicht.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Kaspar Bloch einmal zu Professor Rusch. »Mein Vater hat mir doch versprochen, sofort zu kommen. Wie lange soll ich denn nun immer noch hier den Tauben spielen?«
Erich Schwabe lebte in einer anderen Welt, seit er Ursulas Telegramm bekommen hatte. Er wußte nicht mehr, was er tun sollte. Alles erschien ihm dumm und sinnlos. Am Kartenspiel hatte er kein Interesse mehr, am Schachbrett konnte er sich nicht mehr konzentrieren. Er saß nur herum, rannte unruhig im Zimmer oder im Park hin und her und stand dann wieder am Fenster und sah die Straße nach Bernegg hinab.
Es war ein grausames Warten. Bis zu einer gewissen Grenze ertrug er es, dann rannte er zu Dr. Mainetti.
»Noch nichts?« fragte er atemlos.
»Nein. Noch nichts«, sagte Lisa jedesmal.
»Ob ihr etwas passiert ist, Frau Doktor?«
»Daran wollen wir nicht denken, Schwabe.« Dr. Mainetti gab ihm eine Tasse Nescafé. Vorsichtig schlürfte Schwabe, er hatte ja keine Lippen mehr. »Von Köln bis hier ist ein weiter Weg. Sie schlägt sich schon durch.«
»Aber sie ist so zart, Frau Doktor. Und so ängstlich. Können Sie nicht mal den Major anrufen. Ich meine, vielleicht hat er was gehört?«
»Wir müssen Geduld haben, Schwabe.« Dr. Mainetti schüttelte Schwabe an den Schultern. »Nun drehen Sie nicht schon wieder durch! Wir haben doch das Warten geübt.«
Endlich war es soweit. Aus Bernegg rief Major Braddock an. Lisa Mainetti ging zur Stube 14, es war ihr, als käme ihre eigene Mutter zu Besuch, als erlebe sie selbst etwas Wunderbares und Einmaliges.
Schwabe saß am Fenster und sah nach Bernegg hinab. Er fuhr zusammen, als Lisa seinen Namen rief.
»Schwabe – der Major hat eben angerufen. Er schickt gleich einen Wagen herauf und läßt Sie abholen. Ursula ist da.«
»Sie ist da?« schrie Schwabe. »Jungs, hört ihr – meine Frau ist da!« Er drehte sich im Kreise und hielt sich den Kopf fest. »Was nun?« stotterte er. »Was zieh' ich an? Was hat der Major denn gesagt? Wie sieht sie aus? Sie wollten doch noch mit ihr sprechen, Frau Doktor!«
»Ick würd' im Schlafanzug jehn!« sagte der Berliner gemütlich. »Dann sparste det lange Ausziehen!«
Fritz Adam half dem völlig verwirrten Schwabe. Unter der Matratze holte er die Hose hervor. Seit zwei Tagen hatte Schwabe darauf geschlafen, und nun hatte sie einen messerscharfen Bruch. Der Wastl zog ihm die Schlafanzugjacke über den Kopf und reichte das Hemd, Kaspar Bloch putzte noch einmal über die Stiefel, und Walter Hertz schüttelte die
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