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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geguckt und gesagt: ›Das bin ja ich nicht mehr.‹ Und sie haben geantwortet: ›Die Hauptsache ist, daß die Seele des Christian Oster geblieben ist, sein Wesen, seine Art. Ein Mensch besteht nicht nur aus Gesicht.‹ Wie wenig kannten sie die Menschen, Susanne?«
    »Man – man braucht Zeit«, stotterte Susanne Oster.
    Oster schüttelte den Kopf. »Wir haben nun keine Zeit mehr. Hinausgeworfen haben sie mich. Worauf sollen wir denn noch warten? Es wird nie mehr anders sein. Nie. Nie … Ich werde nie mehr der Christian Oster sein.« Er starrte sie wieder an, leer, mit der Weite der Einsamkeit in den Augen. »Aber ich liebe dich«, sagte er leise. »Ich habe dich immer geliebt, du weißt es. Ich habe alles mit mir machen lassen, nur weil ich dich liebte. Fünfundvierzigmal habe ich mich operieren lassen …«
    Susanne schluckte krampfhaft. »Vielleicht – vielleicht wäre es besser gewesen, du wärst so nach Hause gekommen, mit den Narben, mit der zerstörten Nase, so, wie du warst. Ich – ich hätte dich eher wiedererkannt, du wärst mir nie so fremd gewesen wie jetzt.«
    »Es ist eben aus«, sagte Oster dumpf.
    Er stand auf, ging ein paarmal sinnlos um den Tisch herum, trat ans Fenster und sah hinaus auf den verschneiten Garten. Eine lange Reihe Grünkohl stand im Schnee. Er schmeckte nach dem ersten Frost am besten. Grünkohl mit gebratener Mettwurst.
    Dann machte Christian Oster seinen Rundgang durchs Haus, wie er es jeden Abend tat. Er schloß alle Türen ab, verriegelte die Fensterläden und drehte in der Küche den Wasserhahn kräftig zu, weil er tropfte und die Dichtung verrostet war.
    Als er alles in Ordnung fand, kam er ins Zimmer zurück und blieb vor Susanne stehen. Er war bleich, und sein neues Gesicht sah merkwürdig verstört und wie eine leblose Maske aus Gummi aus.
    »Es ist soweit«, sagte er mit ruhiger Stimme.
    Susanne gab keine Antwort. Sie konnte nicht mehr. Osters Finger hatten ihren Hals umklammert, mit einer blitzschnellen Bewegung, die alle Gegenwehr ausschloß. Es war nur eine Sekunde Qual, bis Susanne das Bewußtsein verlor.
    »So schnell geht es«, sagte Oster in die aufgerissenen Augen Susannes hinein. »So schnell, mein Liebling – und wir wollten uns ein ganzes Leben lang quälen. Warum denn? Warum?«
    Als die letzte Regung in dem rundlichen Frauenkörper erloschen war, fing er Susanne auf, trug sie auf den Armen in das Schlafzimmer, deckte das Bett auf und legte sie hinein. Aus dem Wohnzimmer holte er aus zwei Vasen die großen Immortellensträuße, die Susanne jeden Winter als Dauerschmuck aufstellte, und legte sie neben den Kopf der Toten. Eine große, rote Immortelle schob er zwischen ihre Finger, die er über der Brust faltete.
    Nachdem er sie aufgebahrt hatte, stieg er hinab in den Keller, nahm einen scharfen Spaten und begann, ein Loch in den nicht betonierten Boden des Holzkellers zu graben. Nach dreißig Zentimetern traf er auf eine Blechkiste. Er hob sie aus der Grube, öffnete sie und entnahm ihr ein Paket, eingewickelt in Fettpapier und mit Öl durchtränkt. Er riß die Verschnürung ab und wickelte eine neue, fettglänzende 08-Pistole aus dem Papier. Ein volles Magazin lag daneben.
    Christian Oster stieß den Spaten in die Erde, lud die Pistole, und tappte wieder nach oben ins Haus. Dann setzte er sich neben seine Frau auf das Bett, sah auf die Uhr und nickte. Zehn Uhr abends. Es war noch früh. Er legte die Pistole auf sein Kopfkissen und schob seine Hände zwischen die erkaltenden Finger Susannes.
    So saß er die halbe Nacht hindurch und ging in der Erinnerung sein Leben durch.
    Er sah sich als Kind im Sandkasten spielen, und die Mutter saß davor auf einer Bank und strickte. Sie hatte immer gestrickt, eigentlich hatte er sie nie anders gesehen als mit klappernden Nadeln. Seinen Vater hatte er kaum gekannt. Als er zu denken begann, verunglückte der Vater in der Erzgrube bei einem Strebbruch. Als zusammengequetschte Fleisch- und Knochenmasse lag er in der Waschkaue der Grube, und Mutter begann jetzt schwarze Pullover zu stricken.
    Die Schulzeit, die Lehrjahre, die erste Liebe … Emmi hieß sie, ein dralles Mädchen, der Vater war der Lebensmittelhändler des Orts, und bei ihm kaufte der junge Lehrling Christian Oster seine ersten Zigaretten und sogar eine Zigarre, weil er männlicher aussehen und der schönen Emmi imponieren wollte.
    Dann kamen andere Mädchen. Die Stellung im Lohnbüro der Zeche. Die bessere Stellung in der Möbelfabrik Berger. In der

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