Das geschenkte Gesicht
Fußballmannschaft wurde er Torwart und Sportwart in der SA. Und dann lernte er Susanne Burte kennen, bei einem Sportfest. Sie tanzte mit anderen BdM-Mädchen einen Reigen und führte irgendeine Reifengymnastik vor. Hinterher hatte er sie angesprochen, sie hatten ein Eis gegessen. Und sie wußten gleich, daß sie sich liebten. Sie machten Ausflüge an den Sonntagen, und sie waren glücklich, wie es nur Verliebte sein können. Dann heirateten sie. Neun Tage später kam der Brief, der begann: »Sie haben sich am …«
Aus Susannes Armen weg zog er nach Polen. Dann kamen Frankreich und Griechenland. Und dann Rußland. Die Weite der ukrainischen Felder, die Steppe hinter Smolensk. Die vereisten Wälder bei Gorkij. Die schwabbenden, alles in sich hineinsaugenden Sümpfe des Pripjet.
Und dann heulte diese eine Granate heran, ein immer tiefer werdender Orgelton wie Tausende vorher. Es war nichts Neues, man sah und hörte schon gar nicht mehr hin. Man duckte sich. Und doch war es diesmal anders. Die Flammen waren um ihn, die Erde drückte ihn in sich, als habe sich eine Spalte gebildet und ihn eingeklemmt. Etwas Heißes jagte über sein Gesicht und nahm ihm den Atem.
Das Ende des Christian Oster. War es wichtig, daß der Körper noch lebte?
Oster schob seine Hände aus Susannes starren Fingern heraus. Er unterbrach seine Erinnerung, er schloß sie ab. Was nun noch geschehen war, war gespenstisch, war nicht mehr das Leben des Christian Oster. Sein Leben war in jener Sekunde erloschen, als um ihn die Erde aufriß und aufbrüllte wie der kleine Mensch, der auf ihr gelegen hatte.
»Es war ein schönes Leben«, sagte Oster zu Susanne und rückte die große Immortelle in ihren Fingern zurecht.
Dann lud er die Pistole durch, legte sich neben die Tote auf sein Bett und steckte den Lauf der Waffe in den Mund.
Niemand in der Nachbarschaft hörte den einzelnen Schuß. Man wunderte sich nur, daß am nächsten Morgen die Läden so lange geschlossen blieben.
Er schläft sich aus, dachte man. Er hat gestern wieder gesoffen.
Und außerdem war Sonntag.
Nach dem Morgenkaffee fuhren der Famulus Baumann und Erich Schwabe nach Würzburg.
Man hatte nicht mehr darüber gesprochen. Auch Dr. Mainetti und Professor Rusch verzichteten auf alle Aussprachen. Rusch hatte lediglich die Operation um wiederum zwei Tage verschoben. »Das ist das Äußerste, Lisa«, sagte er. »Wir können Schwabe nicht wie einen Ballon mit Morphium vollpumpen.«
Baumann war einfach mit dem alten Wehrmachtskübelwagen, den man dem Spezialkrankenhaus als ›Dienstwagen‹ überlassen hatte, vorgefahren und hatte zu Schwabe gesagt: »Los, du Flasche, steig ein. Zufällig sind die Straßen eisfrei.«
Während der ganzen Fahrt sprach Erich Schwabe kein Wort. Aber je näher sie Würzburg kamen, um so unruhiger wurden seine Hände und schabten an der Tür auf und ab. Kurz vor dem großen Tor des Krankenhauses hielt Baumann den Kübelwagen an.
»Was ist?« fragte Schwabe. »Eine Panne?«
»Nee. Warte mal.« Baumann griff nach hinten unter den Hintersitz und holte einen Strauß blaßroter Alpenveilchen hervor. »Von der Frau Doktor«, sagte er. »Du sollst sie ihr von ihr geben.«
»Wem?« fragte Schwabe hart.
»Du Dussel, deiner Frau natürlich.«
Schwabe antwortete nicht. Er nahm den Alpenveilchenstrauß und warf ihn in hohem Bogen aus dem Wagen in die Haustrümmer.
»Nun fahr weiter«, sagte er heiser. »Oder ich laufe zu Fuß.«
Mit heulendem Motor raste Baumann der Klinik zu. »Darüber sprechen wir uns nachher«, brüllte er. Regungslos saß Schwabe neben ihm, undurchdringlich, mit zusammengekniffenen, farblosen Lippen.
19
Die Stationsschwester auf der Säuglingsstation sah Erich Schwabe kurz an, als sich die beiden Besucher bei ihr anmeldeten. Schwabe kniff die narbigen Lippen zusammen. »Ja, ich bin's«, sagte er rauh. »Gott sei Dank ist ein solches Gesicht nicht vererbbar.«
»Schnauze«, raunte ihm Baumann zu und stieß ihm die Faust in den Rücken.
»Sie können Ihre Tochter gern sehen.« Die Schwester sah auf einer Liste nach und legte den Zeigefinger auf den Namen Erika Schwabe, Bett 12. »Aber nur durch die Glasscheibe.«
»Warum das denn?« fragte Schwabe laut.
»Wegen der Infektionsgefahr.«
»Mein Gesicht habe ich im Krieg verloren, nicht durch Syphilis«, schrie Schwabe plötzlich. Die Schwester prallte zurück, Famulus Baumann machte hinter Schwabes Rücken verzweifelte Zeichen, um anzudeuten, daß der Besucher offenbar die Nerven
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