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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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setzte sich in den alten Kübelwagen, den Kragen hochgeschlagen und die alte Wehrmachtswintermütze über die schartigen Ohren gezogen. Baumann kam nach fünf Minuten hinterher. Er war blaß und zog Schwabe mit einem Ruck vom Sitz des Wagens.
    »Sie weint«, sagte er rauh. »Keiner hat sie besucht, seit sie das Kind geboren hat. Niemand kümmert sich um sie. Auch deine Mutter nicht. Man sollte euch Schwabes mit den Köpfen gegeneinander schlagen!«
    Schwabe antwortete nichts. Er stand im Schnee, sein zerstörtes Gesicht war weiß, mit violetten Kälteflecken durchsetzt.
    »Habt ihr denn kein Herz?« schrie Baumann und schüttelte Schwabe.
    »Sie hat es verraten.«
    »Wenn ich so etwas höre.« Baumann drückte Schwabe gegen den Kotflügel des Kübelwagens. »Nun hör einmal zu, mein Junge: Du warst in Polen …«
    »Ja«, sagte Schwabe rauh.
    »Und in Frankreich, in Griechenland, auf dem Balkan und zuletzt in Rußland. Und in all diesen Jahren hat deine Ursula treu zu Hause gesessen und darauf gewartet, daß du zwei Wochen im Jahr mal auf Urlaub kommst. Und du? Na, Kumpel, wie ist's? War da nicht was in Griechenland? Und in Jugoslawien? Und wie war's an der Atlantikküste? Oder war der Feldwebel Schwabe der einzige Soldat der deutschen Wehrmacht, der sich wirklich nur für sein Gewehr interessiert hat und sonst für nichts? Na, wie ist das?«
    Erich Schwabe atmete ein paarmal tief. »Laß mich in Ruh'«, sagte er dann.
    »Du gehst jetzt hinauf zu deiner Ursula und dankst ihr dafür, daß sie dir ein solches Kind geschenkt hat.«
    »Nein.«
    Baumann faßte Schwabe an den Mantelaufschlägen. »Erich«, sagte er leise, »wenn du jetzt nicht einsiehst, daß es eine Schweinerei ist, was du tust, bist du für mich Luft. Und für alle anderen auf Schloß Bernegg, dafür werde ich sorgen.«
    Schwabe nickte. »Gut«, sagte er mit heiserer, stockender Stimme. »Dann bin ich Luft. Ich brauche euch nicht, um weiterzuleben. Ich will nur meine Ruhe haben und nichts mehr von den Menschen wissen.«
    »Aber dieses Kind da ist auch ein Mensch«, schrie Baumann und warf Schwabe gegen den Kübelwagen wie einen schweren Sack.
    »Darum habe ich auch Abschied von ihm genommen.«
    »Abschied?« stammelte Baumann ungläubig. »Von deinem Kind?«
    »Fahr schon«, brüllte Schwabe plötzlich und packte Baumann mit ungeahnter Kraft und hob ihn wie eine Puppe in den offenen Wagen hinter das Steuer. »Was geht dich das alles an? Was kümmert ihr euch alle um mein Privatleben? Macht mir ein vernünftiges Gesicht! Mehr geht euch der Erich Schwabe gar nicht an!«
    Ohne ein weiteres Wort fuhr Famulus Baumann zurück nach Bernegg. Als sie durch die Stadt kamen, sahen sie in einer Menschenschlange, die vor einem Fischgeschäft stand, auch die Mutter Schwabes. Sie hatte einen alten, braunen Mantel an mit einem Krimmerkragen und um die weißen Haare ein rotes Kopftuch gebunden. Baumann verringerte die Fahrt.
    »Deine Mutter«, sagte er und nickte zu der Menschenschlange hin.
    »Fahr weiter«, sagte Schwabe eisig.
    »Erich – sie hat dich erkannt. Sie schaut herüber. Soll ich nicht …«
    »Weiterfahren«, schrie Schwabe und schloß die Augen, als sie knatternd an der Menschenschlange vorbeisausten. Er drückte den hochgeschlagenen Mantelkragen an sein Gesicht und wandte den Kopf zur Seite.
    Frau Hedwig Schwabe sah ihrem Sohn mit starren Augen nach. Der Arm, den sie zum Winken schon halb erhoben hatte, fiel schlaff an den Körper zurück. Hinter ihr stießen sie die anderen Anstehenden in den Rücken, die Schlange rückte langsam weiter zum Eingang des Fischgeschäftes.
    »Kennen Sie einen von denen?« fragte die Frau neben Hedwig Schwabe. »Arme Kerle. Haben ihnen die Gesichter weggeschossen. Manchmal muß man sich richtig zusammennehmen, wenn man sie ansieht, so schrecklich ist das. Meine Tochter, sie ist 13 Jahre, ist neulich vor einem dieser Armen weggelaufen wie vor einem Gespenst. Und drei Nächte lang hat sie von ihm geträumt, und im Schlaf hat sie geschrien.«
    Eine andere Frau ging an der Schlange vorbei, sie kam gerade aus dem Geschäft. »Fisch ist nur noch für zehn Familien da«, sagte sie zu den Wartenden. »Aber als Ersatz gibt's Salzheringe.«
    »Auch was.« Die Frau mit der 13 jährigen Tochter schob sich an Frau Schwabes Seite weiter. »Sie, ich kann Ihnen da ein neues Rezept verraten, wie man ohne Fett aus Salzheringen knusperige Bratheringe macht …«
    Frau Schwabe schluckte mehrmals krampfhaft, als müsse sie einen Kloß in der

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