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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vor ihr stand. Sie straffte sich und erwiderte den Blick Lisas.
    »Nun?« fragte sie kampfbereit.
    »Sie haben mir die Wahrheit gesagt«, begann Dr. Mainetti. »Erwarten Sie, daß Ihr Sohn und Ihr Mann diese Wahrheit einfach hinnimmt?«
    »Nein.« Frau Hedwig Schwabe räusperte sich. »Aber ich kann als seine Mutter mit ihm sprechen und ihm …«
    »Sie werden nicht mit ihm sprechen.«
    »Doch.«
    »Nein.«
    »Ich möchte wissen, wer mich zurückhalten könnte.«
    »Ich.«
    »Ich werde vor das Schloß ziehen und so lange schreien, bis mein Sohn mich hört«, sagte Hedwig Schwabe mit einer Kälte, die selbst Lisa erschauern ließ.
    »Und ihr Sohn wird Sie schreien lassen. Er haßt alles, was außerhalb dieser Mauern ist.«
    »Ich bin seine Mutter. Ein Sohn kann seine Mutter niemals hassen. Das gibt es nicht.«
    Dr. Mainetti blieb vor Frau Schwabe stehen. Sie starrten sich an – zwei unerbittliche, mitleidlose Feindinnen.
    »Warum haben Sie über ein Jahr geschwiegen?« fragte Lisa leise.
    Frau Schwabes Augen begannen zu flimmern.
    »Um meinen Sohn zu schonen.«
    »Und nun ist das nicht mehr nötig?«
    »Er weiß es jetzt. Nun braucht er mich, um es zu überwinden.«
    »Das glauben Sie.« Lisa holte Atem. Es ist gemein, was ich sage, dachte sie, aber ich muß es aussprechen, um Erich Schwabe zu retten. »Ich weiß, daß Ihr Sohn Sie als eine Mitschuldige betrachtet. Er weiß, daß Sie diesen Petsch in Ihrer Wohnung geduldet haben. Weil er Speck und Butter brachte, Eier und Schinken. Und Schnaps. Frau Schwabe – Schnaps, den Sie heimlich tranken, um Ihr Gewissen zu betäuben. So ist das. Auch Sie will Ihr Sohn nicht mehr sehen.«
    Frau Schwabe saß wie ein Wachsfigur, steif und unbeweglich. Nur ihre Augen flackerten. Neben ihr weinte Ursula lautlos in ein Taschentuch, das sie sich vor das Gesicht hielt.
    »Mein – mein Sohn soll mir das selbst sagen. Mir ins Gesicht. Seiner Mutter ins Gesicht«, sagte Frau Schwabe dumpf. »Erst dann glaube ich es und gehe.«
    »Er hat es gesagt«, rief Lisa Mainetti grob. »Durch mich.«
    »Und was soll nun werden?« fragte Ursula kläglich. »Es kann doch nicht so bleiben. Es ist doch sein Kind … Sie glauben es mir doch, Frau Doktor, nicht wahr?«
    Lisa nickte und legte den Arm um die zuckende Schulter Ursulas. »Vor einem Jahr sagte ich zu Ihnen: Geduld, Geduld. Ich kann Ihnen heute nichts anderes sagen. Doch – ein anderes Wort ist dazugekommen: Kraft. Besitzen Sie die Kraft, unendlich geduldig zu sein. Das ist alles, was Sie tun können. Und bringen Sie Ihr Kind zur Welt – mit Freude. Dieses Kind könnte eine Brücke sein – die einzige.«
    »Und ich kann Erich nicht sehen?«
    »Nein. Er will es nicht.«
    »Dann darf ich Sie bitten, einen Brief an ihn mitzunehmen«, sagte Frau Hedwig Schwabe. Sie hielt Dr. Mainetti ein Kuvert hin. Lisa schüttelte den Kopf.
    »Wozu? Er wird ihn ungeöffnet zerreißen, wie er das Telegramm zerrissen hat. Für ihn gibt es jetzt kein ›Draußen‹ mehr.«
    »Aber ich bleibe in Bernegg«, sagte Frau Schwabe steif.
    »Ich auch«, stammelte Ursula.
    »Wir warten hier.«
    »Das ist doch sinnlos. Es kann Monate dauern, vielleicht Jahre.« Dr. Mainetti sagte das Letzte, was sie eigentlich verschweigen wollte. »Es wird für Erich Schwabe nicht eher einen Weg zurück zu den Menschen geben, bis er sein Gesicht völlig wiederhat.«
    Frau Hedwig Schwabe nickte. »Ich bin jetzt 63 Jahre«, sagte sie. »Ich bin noch nicht zu alt zum Warten. Ich bleibe hier.«
    Dr. Mainetti spürte, daß es endgültig war. Es gab keine weiteren Worte mehr, die nutzbringend gewesen wären. Sie blieben hier, eine alte Frau und eine junge Mutter. Sie würden hier unten im Tal sitzen, in Bernegg, in einer kleinen Wohnung, sich mit irgend etwas ernähren. Und warten, warten, immer nur warten. Und jeden Tag hinaufstarren zum Schloß, wo hinter einer hohen Mauer ein Mann durch den Park ging und nach jeder gelungenen Operation an seinem Gesicht sich mehr zum Leben zurücksehnte.
    »Ich kann Sie nicht daran hindern«, sagte Lisa Mainetti.
    »Nein. Das können Sie nicht«, antwortete Frau Schwabe fast stolz.
    »Wenn ich Ihnen helfen kann.«
    »Danke. Wir helfen uns selbst. Helfen Sie meinem Sohn.«
    Ohne ein weiteres Wort verließ Dr. Mainetti das Zimmer und fuhr zurück zum Schloß. Sie hatte das deutliche Empfinden, der alten Frau unterlegen zu sein. Diese unerklärliche, mütterliche Kraft – das war etwas, vor dem jeglicher Verstand versagte.
    In der Nacht bekam Ursula die

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