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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Pfund wiegt es. Und blond ist es.
    Erika.
    Es war, als springe ihm das Herz aus der Kehle.
    Eines Abends kam Christian Oster wieder betrunken nach Haus. Aber es war eine andere Trunkenheit als bisher. Daß er mit glasigen Augen und verschwitzten Haaren heimkam, daß sein Atem nach billigem Selbstgebranntem Schnaps stank und er seine Frau Susanne ohne viele Worte unter seinen Willen zwang, war fast zu einer Gewohnheit geworden. Einmal hatte Susanne es gewagt, sich heftiger als sonst zu widersetzen. Sie hatte einen Knüppel in der Hand, als Oster singend durch den kleinen Vorgarten marschiert war, und diesen Knüppel hatte sie dem verblüfften Oster vor die Nase gehalten und geschrien: »Ich will nicht mehr. Wenn du mich anrührst, zerschlage ich dir den Schädel!«
    Christian Oster hatte den Knüppel und sie angestarrt. »Der Schädel ist ja schon zerschlagen, Liebchen«, hatte er gestottert. »In Rußland. Was willst du denn noch zerschlagen, he?« Und dann war er wie ein Panther vorgestürzt, hatte Susanne auf den Boden geworfen und war wie ein wildes Tier über sie hergefallen. Sie war unfähig, mit dem Knüppel um sich zu schlagen. Er schien die Kraft von zehn Menschen zu besitzen.
    Aber an diesem Abend war es anders. Oster kam still nach Haus, mit gesenkten Augen, bleich und offenbar bis in den Grund seiner Seele verwirrt. Zwar roch er wieder nach billigem Fusel, aber er hatte anscheinend nicht soviel getrunken, um das Tier in sich erweckt zu haben.
    Er setzte sich mit einer für Susanne unheimlichen bürgerlichen Bravheit hinter den Tisch, aß sein Abendessen, trank eine Flasche Dünnbier, die er sonst nie angerührt hatte, und blieb dann stumm am Tisch sitzen, stierte vor sich hin und faltete sogar die Hände auf der Tischdecke.
    »Was hast du denn?« fragte Susanne Oster stockend. »Ist etwas passiert? So sag doch etwas!«
    Christian Oster sah seine Frau an, als sähe er sie zum erstenmal. »Es ist aus«, sagte er dumpf.
    »Was heißt das, es ist aus?«
    »Ganz einfach – es heißt, daß es aus ist. Begreifst du das nicht?«
    »Nein.«
    In Susanne jagten sich die Vermutungen. Wollte er weg von ihr? Hatte er eingesehen, daß ein Weiterleben wie bisher unmöglich war? Wollte er ein anderes Leben beginnen? Sollte die nächtliche Qual endlich zu Ende sein?
    »Hast – hast du es eingesehen, daß es so unmöglich ist?« fragte sie vorsichtig. Sie ließ offen, was sie damit meinte. Aber Christian Oster verstand sie anscheinend, er nickte mehrmals.
    »Es ist aus«, sagte er wieder mit dumpfer Stimme.
    »Aber wie kommst du so plötzlich …«
    Die Worte gefroren ihr in der Mundhöhle. Oster sah sie an, und in seinen Augen war weder etwas Menschliches noch das Tierische, das sie an ihm kannte. In seinen Augen war nichts mehr, war absolute Leere.
    »Was – was ist denn?« stammelte sie und wich zur Wand zurück. Eine panische Angst kroch an ihr hoch wie ein klebriges Riesentier.
    »Sie haben mich entlassen«, sagte Oster leise. »Hinausgeworfen. Einfach gesagt: ›Gehen Sie. So etwas wie Sie können wir nicht gebrauchen. Ein Mann, der jeden Tag seine Frau vergewaltigt, der immer betrunken ist – also gehen Sie.‹ Das haben sie gesagt. Und Herr Berger sagte noch: ›Wir wissen es von den Nachbarn, wie Sie sich benehmen. Und Ihre Frau hat es überall erzählt. Natürlich haben wir Mitleid mit Ihnen. Sie haben Ihr Gesicht verloren, man kann vieles verstehen. Aber das geht zu weit. Es ist unserer Firma nicht zuzumuten, daß Sie weiterhin als Leiter des Lohnbüros … ‹ Das hat Herr Berger gesagt. Und nun bin ich draußen. Hinausgeworfen, weggejagt wie ein räudiger Hund, von der Schwelle getreten … Die Nachbarn haben es erzählt. Und meine Frau hat es überall erzählt …«
    »Christian.« Susanne Oster legte die Hände flach an die Wand. »Du mußt das verstehen. Ich habe Hilfe gesucht. Schutz …«
    »Hilfe. Schutz. Vor mir.« Oster nickte wieder. Seine leeren Augen starrten auf seine Frau, aber es war, als sehe er durch sie hindurch, und auch durch die Wand, weit weg über das Land hinweg, in die Ferne, dort irgendwo im Osten, wo ein Granatsplitter den alten Christian Oster wegfegte. »Natürlich«, sagte er leise. »Ich bin ja ein fremder Mann. Niemand erkennt mich mehr. Fünfundvierzigmal haben sie mich operiert, und wie stolz waren sie, als sie fertig waren, der Professor Rusch und die schöne Dr. Mainetti. ›Jetzt sind Sie wieder ein Mensch, Oster‹, haben sie zu mir gesagt. Und ich habe in den Spiegel

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