Das geschenkte Gesicht
Ist es gut gegangen?«
»Nach dreimaligem Anlauf.«
»Und die schreckliche Villa unten in Bernegg?«
»Haben die Wolfachs verkauft und sich bei München im Isartal eine neue gebaut. Einen kleinen Palast. Der alte Wolfach steht wieder auf beiden Beinen und exportiert sogar in die Länder, die ihn einmal zum Kriegsverbrecher stempelten. Walter Hertz ist technischer Assistent eines der neuen Werke bei Donaueschingen. Sogar Frau Wolfach gewöhnt sich an seinen Anblick. Er wird im Winter zu Nachoperationen zu uns kommen.«
»Und der Wastl? Dieses Urvieh?«
»Der ist hier.«
Braddock sprang auf. »Hier? Und das sagen Sie mir jetzt erst? Der Kerl, der meinen Negern das Jodeln beibrachte. Kann ich ihn sehen?«
Eine Stunde später kam Braddock in das Zimmer 14. Der Wastl Feininger saß allein am Tisch und starrte trübsinnig in ein altes Buch der Klinikbibliothek. Es war ein Roman von der Waterkant, und der Wastl verstand nicht einen einzigen Ausdruck von Fischfang und Seefahrt. »Auch dös is deutsch«, seufzte er und kam um vor Langeweile.
Seine Nase hatte Rusch wieder gerichtet. Jetzt trug der Wastl in den Nasenlöchern Kunststoffröhrchen, die ein Stück aus der Nase herausragten. Der abgerissene Rollappen war völlig entfernt worden. Rusch hatte angekündigt, daß er übermorgen mit dem ›Transport‹ eines neuen Lappens beginnen wollte, und der Wastl wußte, wie langwierig und lästig das war.
Als James Braddock ins Zimmer trat, sah der Wastl kurz auf und musterte den Eintretenden. Da das Gesicht des ›Neueinganges‹ normal war, brummte der Wastl: »Kannste Skat spielen, Kumpel?«
»Ohne dritten Mann?« fragte Braddock zurück.
»Den kriag'n ma a.«
Braddock setzte sich an den Tisch und tippte dem trübsinnigen Wastl auf die Schulter. Lisa und Professor Rusch waren in der Tür stehengeblieben. Wastl sah sie nicht, er saß mit dem Rücken zum Eingang.
»Wir kennen uns doch«, sagte Braddock.
»Hä?« machte der Wastl.
»Hast du nicht den Negern das Jodeln beigebracht? Und als damals der amerikanische Major ins Zimmer kam, hast du Rindvieh ›Heil Hitler‹ gerufen.«
Den Wastl durchlief es wie eine elektrische Stromwelle. »Himmioarschsakrament«, brüllte er plötzlich und sprang auf. »Der Major.« Er stand stramm und sah jetzt auch Lisa und Rusch in der Tür stehen. »Dös mit dem Zaubern, Herr Major, dös wor'n nur die 700 Kalorien. I hob an Hunger g'habt …«
Braddock nickte und zog Wastl Feininger auf den Stuhl zurück. »Ich war nicht schuld, mein Junge. Aber ich will versuchen, etwas nachzuholen.« James Braddock sah sich zu Lisa und Rusch um. »Wer ist eigentlich noch erreichbar von den boys des Zimmers 14?«
Lisa lachte. »Alle. Bis auf Oster«, fügte sie leise hinzu.
»Very good.« Braddock legte den Arm um den verblüfften Wastl. »Ich bleibe noch zwei Wochen hier. Sie sollen alle wieder hierher kommen – auf meine Kosten. Und dann wollen wir ein Wiedersehen feiern und meine schönste Zeit in Old Germany. Und …«, er sah Professor Rusch plötzlich ernst an, »und meinen Abschied von euch allen. Denn Sie kommen ja doch nicht in die Staaten, Professor.«
»Nein, bestimmt nicht, Braddock. Und ich weiß, daß Sie mich jetzt sogar verstehen können.«
»Vielleicht. Zugeben werde ich es nie.« Er schüttelte den Wastl und hieb ihm auf die Schulter. »Und du bringst mir das Jodeln bei. Ich kann's noch immer nicht. Obwohl ich es damals heimlich in meinem Dienstzimmer geübt habe.«
Es war ein weiter Weg von diesen Tagen bis zu jenem Vormittag im Frühjahr 1962, an dem Erich Schwabe mit seiner Frau Ursula im Gang des neuen Behördenhauses wartete. Es lagen 13 Jahre dazwischen, und man glaubt, das sei eine schier endlose Zeitspanne. Und doch waren die Jahre weggeflogen wie früher die Monate. Nur an den Menschen der Umgebung erkannte man, daß Altern und Wachsen sich im ewig gleichen Rhythmus vollzogen, auch wenn man es nicht deutlich wahrnahm.
Erika Barbara war nun über fünfzehn Jahre alt und besuchte die Oberschule, ein schlankes, hübsches, hellblondes Mädchen, mit dem Schwabe stolz durch die Straßen ging. Und wenn die jungen Männer ihr nachblickten, dachte er fröhlich: Na wartet, der Weg zu Erika führt über mich.
Die Schwabes waren nach fünf Jahren aus Bernegg weggezogen, wieder zurück an den Rhein. Die alte Sehnsucht der Kölner, im Umkreis der Domtürme zu leben, war auch in Schwabe mächtig geworden. »Ich kann nun mal nichts dafür«, hatte er gesagt und sich in Köln
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