Das geschenkte Gesicht
zerstören.«
»Vielleicht. Aber ich bin altmodisch, Liebster.« Lisa hielt die streichelnden Hände Ruschs fest. »Ich will, daß mein Kind hier geboren wird. Nicht allein in Deutschland, nein, auf diesem alten Schloß Bernegg.«
»Verrückt«, knurrte Rusch. »Wie sentimental!«
»Mag sein. Aber hier war ich zum erstenmal in meinem Leben richtig glücklich. Und ich möchte das größte Glück hier erleben: ein Kind zu haben. Kannst du das nicht verstehen, du Brummbär?«
Rusch schwieg. Er schüttelte auch nicht den Kopf, noch nickte er.
»Gut«, sagte er nach langem Schweigen. »Dann gehen wir in die USA, wenn das Kind da ist.«
»Dann wird Theo Adam zu dir kommen als Assistent. Und auch Baumann wird dann so weit sein. Du hast es beiden fest versprochen. Und Kaspar Bloch kommt schon in vier Monaten zu uns. Er will sein Praktikum in der psychologischen Behandlung Gesichtsversehrter machen. Er hat heute geschrieben. Du hast den Brief vor lauter Ärger noch nicht gelesen.«
Professor Rusch schwieg wieder. Er konnte nichts sagen, weil er fühlte, wie recht Lisa hatte. Schloß Bernegg und seine Gesichtsverletzten waren eine eigene, waren seine Welt geworden. Hier war er wie ein kleiner Herrgott, der durch die Kraft des großen Herrgotts mit seinen Händen neue Gesichter schuf und neues zukunfttragendes Leben schenkte. Hier war er die letzte Station, der letzte und einzige Retter, Vater und Mutter zugleich. Zu ihm kamen die Wesen ohne Gesicht, die einmal Menschen gewesen waren und denen er das Menschsein in mühseliger Kleinarbeit millimeterweise wiederschenkte.
»Nun trinken wir einen Cognac«, sagte Lisa Rusch leise und trat zurück. »Und dann spreche ich mit dem Verwaltungsfritzen wegen der Abzahlung. Ober haben wir 10.000 Mark übrig?«
»Nein.«
»Auch darüber werden wir kommen.« Sie goß die Cognacschwenker halb voll und trug sie zu Rusch. »Wir haben das Braune Reich, den Krieg und die Hungerjahre überlebt. Es wäre ja gelacht, wenn wir jetzt am Frieden zerbrechen sollten.«
Zwei Besucher trafen in Abständen von zwei Tagen auf Schloß Bernegg ein. Ohne sich anzumelden, ohne Vorankündigung, sie waren plötzlich da, überraschend wie Schnee aus Sommerwolken.
Major James Braddock und der Wastl Feininger.
Zuerst kam der Wastl. Nicht freiwillig, sondern notgedrungen. Er kam auch nicht forsch oder zumindest mit Galgenhumor, nein, er stand mächtig, dick und breit im Chefzimmer, drehte seinen Hut mit dem gewaltigen Gamsbart in den Händen, und die Kläglichkeit einer zerstörten Kreatur lag über ihm wie eine glänzende Ölhaut.
Sein Gesicht war dick verbunden: wie in alten Zeiten trug er wieder den mächtigen Turban, der ihm damals den Namen ›Wastl-Pascha‹ eingebracht hatte.
»Was ist denn das?« fragte Lisa, als sie sich von dem ersten Erstaunen erholt hatte. »Wastl, Mensch, was ist denn mit Ihnen los? Wie sehen Sie denn aus?«
Der Wastl ließ seinen Hut schneller zwischen den Fingern rotieren. »Dös is a Kreiz«, kam es mühsam aus den Verbänden und Leukoplaststreifen. »Hab' i ahnen könna, daß 's Mariandl an festen Burschen hat? Und a Mordstrumm dazua. Himmisakra no amoi.«
Die Ärztin kam auf den Wastl zu und betastete dessen Gesicht. Sie sah, wie sich sein Mund im Schmerz verzerrte.
»Dös Nosenboa is es«, sagte er rauh. »Und der große Lappen, der überpflanzte, abg'rissen hot er 'n mir, der Bazi, der verfluachte. Und i hob d' Loater no net am Fensterl g'habt.«
Lisa trat zurück und wusch sich die Hände. »Also ganz klar: Sie wollten irgendwo einsteigen, und da kam der Bräutigam und hat Ihnen das Nasenbein zerschlagen und unseren so mühsam transplantierten Rollappen abgerissen. Wissen Sie, was wir jetzt machen, Wastl? Wir nähen Ihnen den Hintern ins Gesicht. Dann hören die Weibergeschichten endlich auf.«
»Ich wollt' doch nur, Frau Doktor …«
»Ruhe, Wastl. Sparen Sie sich alles auf, bis der Professor kommt. Der wird Ihnen was erzählen.«
»Ich bezahle alles«, schrie der Wastl.
Lisa sah den Wastl Feininger nachdenklich an. »Sie haben doch einen großen Hof, nicht wahr?« fragte sie.
»Ja.«
»Wieviel Vieh?«
»Dreißig Kühe und neunundvierzig Schweinderln.«
»Dann werden Sie zwei Kühe und vier Schweine verkaufen müssen. Bei solchen Dummheiten, Wastl, müssen Sie bluten. Das behandele ich Ihnen nicht auf Ihren Versorgungsschein.«
»Dös is mir klor.« Der Wastl schien zu schwitzen, aber es war nirgendwo mehr ein unverbundener Fleck in seinem Gesicht, wo
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