Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Zwei-Zentner-Weiber in Ihrer Praxis drängeln.«
    Lisa Rusch sah schnell hinüber zu ihrem Mann. Sie wußte, was er in diesem Augenblick dachte, und er tat ihr leid. Die Illusion, in die er sich hineingesteigert hatte, zerstob wie eine Seifenblase. Man sah es Professor Rusch an. Er saß still und in sich gekehrt am Tisch und hörte stumm den Begeisteiungsausbrüchen James Braddocks zu.
    »Sie werden in einem Jahr in Mode sein«, rief er unbeirrt und schwenkte seine Brissagozigarre wie eine brennende Fahne. »Man wird sich zuflüstern: ›Na, Nelly, auch schon bei Rusch gewesen? Ein smarter Boy, was?‹ Lieber Professor – und dann später Ihre Memoiren: ›hunderttausend Kilo Fett in meinen Händen‹. Sie werden die USA erobern.«
    »Bestimmt«, sagte Rusch etwas mühsam und lächelte dazu. Mein armer Bajazzo, dachte Lisa voll Mitleid. Du hältst dich tapfer. »Aber ich glaube nicht, daß ich nach Amerika passe.«
    »Wenn Sie nicht – wer sonst? Professor, denken Sie sich bloß diese Publicity: Bilder Ihrer Gesichtsverletzten vor und nach der Operation. In jedem Kino, an den Anschlagsäulen, in den Hotelhallen, auf den Sportplätzen. Und dazu der Slogan: Ruschs Hände formen jedes Antlitz. Das gibt eine neue Welle, Professor. Die Million liegt auf der Straße. Und dann Hollywood, ein Film: ›Die zwei Gesichter der Linda B.‹ Sie wären ein Dummkopf, wenn Sie in Deutschland blieben.«
    »Ich bin ein solcher Dummkopf«, sagte Rusch ernst.
    James Braddock starrte Rusch an. Dann ließ er seine Zigarre fallen und stieß fast sein Whiskyglas um. Verwirrt starrte er zu Lisa hinüber.
    »Der meint es ja ernst«, stotterte er.
    »Ja, er meint es ernst«, nickte Lisa.
    »Er will nicht?«
    »Nein – er kann nicht.«
    »Was heißt hier, er kann nicht? Verträge? Kleinigkeit. Als wenn wir keine Übung im Lösen von Verträgen hätten.«
    »Und er will nicht.«
    »Aber das gibt's doch gar nicht. Ein Mensch allein kann doch nicht so blöd sein.«
    »Auch das stimmt, Braddock.« Lisa lächelte ihn freundlich an. »Es gibt zwei Blöde, ihn und mich. Ich will auch nicht.«
    »Sie auch nicht?« sagte Braddock entgeistert.
    »Nein.«
    »Aber warum denn nicht, um Himmels willen?«
    »Wenn Sie Rusch nicht als einen Operationsvirtuosen, sondern als Mensch und Arzt betrachten, werden Sie es verstehen, Braddock. Es ist nicht seine Welt.«
    »Damned.« James Braddock sprang auf. Er war sichtlich wütend wie damals, als seine Truppe von einem Unbekannten zaubern lernte und seine Neger plötzlich auf Berneggs Straßen jodelten. »Was ist denn seine Welt? Das alte, verfaulte Germany? Das degenerierte Europa? Die Schlafmützigkeit der westlichen Welt? Spukt bei euch schon wieder dieser verdammte deutsche Nationalismus herum?«
    »Nichts von alledem, James, aber für uns ist das menschliche Gesicht ein Kunstwerk, das die Seele widerspiegelt. Es ist eine Visitenkarte Gottes, auf der man lesen kann: Seht, so vollkommen arbeitet der Schöpfer.«
    Braddock wandte sich ab. Plötzlich schämte er sich. »Ich verstehe«, sagte er leise.
    »Für uns ist ein Gesicht kein dollarspuckender ›Esel-streck-dich‹ – das ist der einzige, aber auch der unüberwindliche Unterschied zwischen James Braddock und Walter Rusch.«
    Professor Rusch nickte. Er griff über den Tisch nach Lisas Händen und drückte sie. »Ich danke dir, Lisa«, sagte er. »Du hast eine wundervolle Gabe, Niederlagen in Siege hinaufzureden.«
    »Sonst wäre sie keine Deutsche«, sagte Braddock giftig. Aber es war kein ätzendes Gift mehr, sondern kapitulierender Sarkasmus. »Also schweigen wir über USA. Was hat sich hier ereignet in den Jahren?«
    James Braddock erinnerte sich noch an alles, sogar einen großen Teil der Namen hatte er behalten. »Es war merkwürdig«, sagte er und umfaßte die Whiskyflasche. »Man rückt ein, um die Deutschen zu bestrafen. Und was tut man? Man liebt sie auf einmal. Wirklich, es war eine schöne Zeit in Bernegg.«
    Lisa erzählte von dem tragischen Ende Christian Osters, von Fritz Adam, der jetzt auch schon Arzt war, von Famulus Baumann, der in drei Monaten sein Staatsexamen beendet haben würde, von dem Berliner, der auf den Brettern eines Kabaretts seine Maschinengewehrschnauze verschoß, von Kaspar Bloch, der die wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen hatte, von Schwabes und Walter Hertz' Lebenshetze und von Wastl Feiningers Abenteuern. Braddock nickte bei jedem Namen und erinnerte sich.
    »Hertz, der Junge mit dem Kriegsverbrechertöchterchen.

Weitere Kostenlose Bücher