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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eine schöne Wohnung genommen. Dort hatte er wieder als Glaser begonnen, fleißig und zäh. Inzwischen besaß er eine Glasgroßhandlung, ein Häuschen am Rande des Stadtwaldes und vier Glaserkolonnen, die Hochhäuser und Bürobauten verglasten. Frau Hedwig Schwabe lebte bei ihnen. Sie war jetzt sehr gebeugt und wurde vom Rheuma gepeinigt. »Die Jahre im Keller«, sagte sie immer. »Jetzt kommt's 'raus. Wir haben alle unser Andenken an diese Zeit.«
    Nun warteten sie im Flur der Behörde, Erich Schwabe und Ursula. Das große Wartezimmer war überfüllt. Dicke Schwaden von Zigaretten- und Pfeifenrauch zogen durch die offene, breite Glastüre des Warteraumes auf den Flur. Gegenüber befanden sich zwei weitere Türen. ›Vorzimmer – Vertrauensarzt‹, stand auf einer Tür, und ›Untersuchungszimmer – Eintritt verboten – Anmeldung Zimmer 10‹ stand auf der anderen.
    Schwabe blickte in den vollen Warteraum. Dort saßen sie herum und lasen Illustrierte oder unterhielten sich. Männer mit schiefen Schultern, Amputierte, Männer mit Narben im Gesicht, mit dicksohligen Schuhen, mit scharfen Brillengläsern. Elegante Herren und Männer in zerknitterten Hosen. Und immer wieder kamen neue durch die große Pendeltür und stellten sich an den Wänden des Flures auf.
    »Die will der alle heute vormittag abfertigen?« sagte ein Armamputierter. »Na Prosit. Wie in alten Zeiten – erste Reihe vor, Zunge 'raus, Ahhh sagen, kv. Ab durch die Mitte.« Er sah Schwabe an und nahm seinen Hut vom Kopf. »Gesichtsverletzt, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Schwabe etwas steif. Er sah auf die Masse Kriegserinnerung, die hier herumstand und hinter den Illustrierten saß, und ein plötzlicher Widerstand gegen das, was ihn hier erwartete, wuchs in ihm heran. Schon als er das amtliche Schreiben bekam ›zur Nachuntersuchung wegen Neufestsetzung des Rentensatzes‹, hatte er zu Ursula gesagt: »Wann geben die endlich Ruhe? Die Behörden sollten innerhalb von 17 Jahren gemerkt haben, daß ich mein Gesicht verloren habe. Wozu immer diese Neufeststellungen?«
    »Mir haben sie den Arm abgeschossen. Russisches Explosivgeschoß. Kennen Sie ja, nicht?« Der Mann neben Schwabe stopfte den lose herabhängenden Jackenärmel in die Seitentasche. »Das ist ja nun klar. Das sehen die Brüder von der Rente ja. Aber seit einigen Jahren hab' ich dazu Kreislaufstörungen bekommen. Und das wollen sie nicht als Kriegsschaden anerkennen. Vor allem der da drinnen«, er nickte zu der Tür mit der Aufschrift Untersuchungszimmer, »der hat zu mir gesagt: ›Wo gibt's denn das? Was hat das Herz mit dem Arm zu tun? Nachher kommen die Leute noch und wollen Rente, weil ihnen aufgrund einer gebrochenen Zehe die Haare ausfallen.‹ Ich habe nun geklagt, ich habe drei Fachgutachten mit, daß meine Kreislaufstörungen in ursächlichem Zusammenhang mit meiner Amputation stehen. Bin mal gespannt, was der da drinnen sagt. Kennen Sie ihn?«
    »Nein. Ich bin zum erstenmal hier.«
    »Na, dann wappnen Sie sich mit Fassung. Der wird Ihnen erzählen, Sie sähen aus wie ein Filmstar.«
    Obwohl es bei jedem einzelnen bemerkenswert schnell ging, wobei keiner das Vorzimmer ohne wütende Miene wieder verließ, dauerte es doch über drei Stunden, bis Schwabe an der Reihe war. Er trat in das Vorzimmer, gab zwei hübschen jungen Damen seine Personalien an, man suchte seine Akte heraus und wartete dann auf ein akustisches Signal – ein vornehmes Summen –, um die Tür zum Untersuchungszimmer zu öffnen.
    Schwabe trat langsam ein. Eines der Mädchen legte seine Akte auf einen kleinen Seitentisch und ging schnell wieder hinaus. Die Tür fiel lautlos zu. Es war ein großer, quadratischer Raum, modern und sachlich eingerichtet. Ein großer Schreibtisch, helle Anbaumöbel, ein Untersuchungsbett, einige Meßinstrumente, zwei Instrumentenschränke, eine blau gekachelte Waschecke und zwei große Fenster auf einen schönen Garten.
    Der Vertrauensarzt stand am Waschbecken und wusch sich die Hände. Er war groß, schlank, hatte blonde, gelockte Haare und trug unter dem weißen Arztkittel enge hellbeige Hosen ohne Aufschläge. Seine spitzen italienischen Schuhe blitzten vor Sauberkeit.
    Erich Schwabe war an der Tür stehengeblieben. Mit großen Augen starrte er auf den Rücken des sich waschenden Arztes. Dieser griff gerade nach dem Handtuch und trocknete sich ab, noch immer der Tür abgewandt.
    »Na, was ist denn?« fragte er. »Ihren Namen bitte. Oder sind Sie stumm?«
    Schwabe schluckte mehrmals. Dann

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