Das geschenkte Gesicht
es kosmetische Regulierungen des Gesichtes sind.« Er hob beide Arme und sah Rusch ehrlich hilflos an. »Ich kann nichts daran ändern. Ich habe nur die Pflicht, die Gelder hereinzubekommen.«
»Man hat Erich Schwabe als Gärtner und Hausmeister für das Schloß angestellt. Er hatte freie Wohnung, freies Essen und bekam ein Gehalt von …«
»Das ist etwas anderes.« Der Verwaltungsdirektor beugte sich zu Rusch vor. »Sehen Sie, da haben wir ein gutes Beispiel: Wir zahlen Herrn Schwabe für seine Dienstleistung ein Gehalt und so weiter. Mit gleichem Recht steht uns eine Zahlung zu, wenn wir an Herrn Schwabe eine Leistung vollbringen. Auf der einen Seite war er unser Gärtner und Hausmeister, auf der anderen Seite war er aber auch Patient. Man muß das streng voneinander trennen.«
»Sie bleiben also dabei: Schwabe muß 10.000,- DM zahlen.«
»Ich bleibe dabei, daß wir unsere Unkosten ersetzt bekommen. Da weder Krankenkasse noch andere Institutionen … Oder wollen Sie das bezahlen, Herr Professor?«
Rusch erhob sich brüsk. »Ich habe Schwabe in die Klinik geholt, ich habe ihn die ganzen Jahre umsonst behandelt.«
»Ihr Edelmut ist allgemein bekannt, Herr Professor.«
»Und ich lasse mich durch keinerlei engstirnige Bestimmungen an der Ausübung meiner ärztlichen Pflicht hindern.«
»Das ist Ihre Sache, Herr Professor. Wenn Sie einen Privatpatienten unentgeltlich behandeln, so kann Ihnen niemand dreinreden. Aber das Haus, Herr Professor, hatte Unkosten. Benutzung des OPs, Verbände, Medikamente, die stationäre Pflege, Bettwäsche – wer soll das tragen? Sie bekommen Ihr Gehalt, Ihre Gattin, die Assistenzärzte, die freien Schwestern, die Krankenpfleger, der Klinikapotheker, ich bekomme mein Gehalt und meine Mitarbeiter –, wie sollen wir das bezahlen, wenn wir die Patienten umsonst behandeln? Der Staat buttert sowieso Millionen in die Krankenhäuser. Da ist es unmöglich, daß wir – auch wenn es sich um einen Mann handelt, der sein Gesicht dem Vaterland geopfert hat – auch noch die Schönheitsoperationen bezahlen.«
Professor Rusch hatte einen Augenblick den unwiderstehlichen Drang, das zu tun, was er bisher nie in seinem Leben getan hatte – selbst nicht bei Oberst Mayrat, als dieser sagte: »Zum Panzerfahren und MG-Abdrücken brauchen die keine Visagen wie die Filmschauspieler. Für uns ist eine Funktion hergestellt, wenn der Mann wieder schießen kann.« Er hatte den Drang, sich vorzubeugen und mit beiden Händen in das Gesicht des Mannes vor sich zu schlagen.
»Das also ist aus uns geworden«, sagte er heiser. »Das ist die Lehre, die wir aus dem Krieg gezogen haben sollen.«
»Ich verstehe Sie nicht, Herr Professor«, sagte der Verwaltungsdirektor steif. »Was dem Staat gebührt …«
»Dem Staat gebührt Einsicht, Reue, Verzeihen, Hilfe, Achtung und Menschenehre«, schrie Rusch. »Aber das alles fehlt ihm. Zu satt ist er wieder geworden, und die Hirne bemühen sich verzweifelt, den Krieg zu vergessen, den Zusammenbruch, den Hunger, das jammernde Elend. Wie ein Mädchen ist dieses Deutschland, das nicht an einen Fehltritt erinnert werden möchte. Es ist zum Kotzen.«
Rusch holte einen anderen Brief aus der Tasche und warf ihn dem etwas blaß und noch steifer gewordenen Direktor auf den Tisch.
»Was soll das?« fragte dieser konsterniert.
»Lesen Sie. Ein Brief von Major Braddock. Sie kennen ihn doch noch? Er ist heute Präsident der Internationalen Arznei-Forschungs-Gesellschaft in New York.«
»Eine erstaunliche Karriere für einen Offizier«, sagte der Direktor sarkastisch. Er entfaltete den Brief und strich ihn glatt, aber er begann nicht, ihn zu lesen. »Warum geben Sie mir den Brief?«
»Zur Information. Es ist ein neues Angebot, meine Forschungen und meine chirurgische Tätigkeit in den USA fortzusetzen. Man bietet mir dort so viel Dollar, wie ich hier D-Mark erhalte. Und Freiheit der Forschung. Und volle Unterstützung meiner Arbeit. Keine Paragraphen von Beamten mit gesunden Gesichtern, die den zerstörten Gesichtern nur die Funktionen wiedererlauben.«
Der Direktor schob das Schreiben weg, als ströme es einen schlechten Geruch aus. »Was soll das, Herr Professor?«
»Ich nehme den Ruf an und verlasse mein Vaterland, wenn die Idiotie, die ich jetzt hier sehe, weiter um sich greift. Ich habe immer eine verzweifelte Liebe zu Deutschland gehabt, und ich habe in all den Jahren gehofft: nach dem Krieg wird es besser. Diese fürchterlichen Jahre sind ein Fegefeuer, das ein für
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