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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schwabe. Ihre Stimme war ein wenig zittrig, aber voll mütterlicher Wärme und tiefsten Glücks. »Mein lieber … lieber Junge …«
    Sie breitete die Arme aus und rannte auf ihn zu. Auch Erich Schwabe warf die Arme nach vorn und stürzte auf sie zu.
    »Mutter!« schrie er auf. »Mutter … o Mutter …«
    Sie umklammerten sich, als wollten sie gemeinsam ertrinken, sie sahen sich an, und die gräßlichen Verstümmelungen schmolzen in den Augen der Mutter, und sie sah ihn so, wie er immer gewesen war … ein großer, fröhlicher Junge …
    Mit beiden Händen umfaßte sie seinen Kopf und küßte ihn auf die schreckliche Mundhöhle, sie streichelte über die Mullplacken und Leukoplaststreifen, über den Rollappen und die abgerissene Nase, und sie küßte ihn wieder und immer wieder und herzte ihn wie damals, als er noch ein Kind war.
    »Wie gut du aussiehst …«, sagte sie weinend vor Glück. Es war keine barmherzige Lüge, es war ihr die vollste Wahrheit. Er lebte … er hatte seine Augen noch und seine Stimme, seine Arme und Beine. Mein Gott, ich danke dir, dachte sie ergriffen. Ihn wird der Krieg nicht mehr holen, nun bleibt er für immer bei mir. Wofür ich sechs Jahre lang täglich gebetet habe, nun ist es mir erfüllt worden. Ich habe ihn endlich wieder … für immer … für immer …
    »Du … du erkennst mich noch, Mutter …«, stammelte Erich Schwabe. Er hatte die Hände seiner Mutter erfaßt und saß nun mit ihr auf dem Bett Lisas. Frau Schwabe bemühte sich, ihn zu verstehen. Seine Worte kamen zischend, lallend und krächzend aus der Mundhöhle.
    »Du bist ein dummer Junge! Bist es immer gewesen. Man sollte dich jetzt noch übers Knie legen. Warum sollte ich dich nicht erkennen?«
    »Mein Gesicht, Mutter …«
    »Na und? Es bleibt doch nicht so! Ich habe ausführlich mit der Frau Doktor gesprochen. Es wird alles wieder in schönste Ordnung kommen.«
    Erich Schwabe legte den Kopf an die Schulter seiner Mutter. Schluchzen schüttelte seinen Körper. Sie legte den Arm um ihn und drückte ihn an sich, wie sie ihn hundertmal getröstet hatte, wenn er als Kind ein für ihn unüberwindbares Leid nach Hause gebracht hatte.
    »Sag es mir ehrlich, Mutter, ganz ehrlich, bitte, bitte … glaubst auch du, daß alles wieder gut wird? Kann man ein solches Gesicht wieder herstellen? Gibt es wirklich einen Funken Hoffnung für mich …«
    »Wenn du nicht so groß wärst, bekämst du jetzt eine Ohrfeige!«
    Frau Schwabe starrte gegen die Wand vor sich.
    »Und … und was wird Ursula sagen …«
    »Sie läßt dich grüßen …«
    Schwabe zuckte hoch. »Sie weiß, daß du bei mir bist?«
    »Glaubst du, ich belüge deine Frau? Natürlich habe ich es ihr gesagt.«
    »Und … wie hat sie es aufgenommen? Ich meine … hat sie nicht …«
    »Sie hat geweint. Natürlich! Nicht, daß du verwundet bist, daran haben wir uns schon bei deinen sieben anderen Verwundungen gewöhnt. Aber daß du geschrieben hast, sie solle nicht mitkommen … das war nicht schön von dir, Erich.«
    »Ich dachte, Mutter … mein Gesicht … wenn sie es sieht … ich habe solche Angst, daß sie …« Er senkte den Kopf und krampfte die Finger ineinander. »Warum hast du ihr den Brief gezeigt, Mutter?«
    »Weil es sich so gehört, mein Junge.« Frau Schwabe schob mit den Füßen die Tasche unter das Bett, ohne daß Erich es merkte. Ein Rosinenkuchen und eine Schmierwurst … wie sinnlos waren sie jetzt. »Man kann nicht einfach alles aufstecken, nur weil man ein paar Narben im Gesicht hat.«
    »Ein paar Narben …«, sagte Schwabe bitter. »Ich weiß jetzt, wie ich aussehe. Ich habe mich vorige Woche im Wasser gespiegelt. Ihr braucht mir nichts zu erzählen …«
    »Welch ein dummer Junge!« Frau Schwabe schlug die Hände zusammen, wie sie es immer tat, wenn sie eine Situation zu klären begann. »Ein Haus kann noch so schön gebaut sein … es sieht erst nach etwas aus, wenn die Fassade verputzt ist. Das müßtest du als Glaser eigentlich wissen, Erich!« Sie nahm alle Kraft zusammen, hob den Kopf ihres Sohnes hoch und sah ihm in das weggerissene Gesicht. »Wenn du's so besser verstehst, du eitler Fratz: Die Frau Doktor ist dabei, dir eine neue Fassade zu geben! Verstanden?«
    Erich Schwabe lächelte mühsam. Frau Schwabe erkannte es nur daran, daß sich die Seiten der Mundhöhle wie gequält etwas verzerrten.
    »Ja, Mutter. – Ich bin so froh, daß du gekommen bist. Aber Ursula wird doch verstehen, daß ich sie noch nicht sehen will? Bitte, mach es ihr

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