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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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er es nicht will, Frau Schwabe … Sie sind doch Frau Ursula Schwabe, nicht wahr …«
    »Ja …«, hauchte Ursula. Und dann weinte sie und schlug die Hände vor das Gesicht.
    »Wir wollen ganz ehrlich sein«, begann Lisa behutsam. »Ihr Mann schämt sich …«
    »Schämt sich … vor mir?« Ursula senkte den Kopf. »Hat er denn kein Vertrauen mehr …«
    Lisa sah auf die Uhr an der Längswand der Wachstube. Die Verwundeten hatten jetzt Stubendienst, weltanschaulich-politische Schulung durch einen NSFO oder Gymnastik. Es würde kein Gesichtsverletzter außerhalb des Hauses sein, mit Ausnahme der Gymnastikgruppe, die weit hinten im Park, hinter dem Block C, auf einem Fußballplatz Freiübungen machte.
    »Sie bleiben länger hier?« fragte sie.
    »Wir wollten morgen wieder fahren.« Frau Hedwig Schwabe umklammerte ihre Einkaufstasche, in der der Rosinenkuchen und die Schmierwurst lagen. Und ein Paar selbstgestrickte Handschuhe, weil es doch jetzt so kalt wurde. »In Köln ist fast jede Nacht Fliegeralarm. Und wir wollen unsere Keller nicht so ohne Aufsicht lassen, wissen Sie, Frau Doktor. Wir haben ja nicht mehr viel gerettet, aber das Wenige soll uns jetzt nicht auch noch gestohlen werden … Auch wenn's auf Plünderung die Todesstrafe gibt … es kommt doch immer wieder vor, und die wenigsten erwischen sie dann …«
    »Ich würde Ihnen empfehlen, trotzdem noch einen Tag länger zu bleiben.« Lisa Mainetti nahm die schlaffen Hände Ursulas. Sie waren kalt wie Totenfinger. »Ich glaube zu wissen, daß Sie ihn auch sehen können, wenn er erst einmal mit seiner Mutter gesprochen hat. Er hat eben Angst, Frau Schwabe. Sein Gesicht ist nicht mehr so wie früher …«
    »Ich werde ihm den Kopf zurechtsetzen! Wegen so ein paar Narben!«
    Frau Hedwig Schwabe nickte ihrer Schwiegertochter ermunternd und beruhigend zu. »Natürlich bleiben wir noch einen Tag. Morgen wirst du mit Erich sprechen! Laß mich das nur machen. Ich habe ihm immer alles sagen können, mehr als sein Vater.« Sie wandte sich wieder an Lisa Mainetti, ganz Mutter und sich dessen bewußt, daß nur sie imstande war, ihren Sohn ins Leben zurückzuführen. »Er wird doch Weihnachten nach Hause kommen können, nicht wahr, Frau Doktor? Er braucht doch nicht mehr im Bett zu liegen …«
    »Nein … im Bett zu liegen braucht er nicht mehr.«
    »Siehst du, Ursel … Weihnachten ist er bei uns. Mein Gott, dann müssen wir ja sehen, wo wir das Mehl und die Zutaten für einen Stollen herkriegen.« Frau Schwabe hob den Zeigefinger wie auf dem Katheder der Lehrer. »Mein Stollen ist berühmt. Ein altes Dresdener Rezept.«
    »Gehen wir?« Lisa Mainetti drückte Ursula die Hände. »Nicht den Kopf hängen lassen, kleine Frau. Morgen ist alles anders. Haben Sie so lange gewartet, wird's auch noch einen Tag länger gehen. Ich verspreche Ihnen, daß alles gut wird. Glauben Sie mir …«
    Ursula sah zu Lisa auf. Ihr Gesicht war naß von Tränen.
    »Ich glaube Ihnen, Frau Doktor«, sagte sie kläglich. »Ich habe Vertrauen zu Ihnen … bestimmt … Und … und … grüßen Sie Erich von mir …«
    Sie warf sich herum, drückte das Gesicht gegen die Wand und weinte laut in die vor den Mund gepreßten Hände.
    Wie vorausgesehen, war niemand von den Gesichtsverletzten vor dem Block B. Ohne Schwierigkeiten erreichten sie das Gebäude, kamen in das Zimmer Lisas, und Frau Schwabe stellte ihre Tasche mit dem Rosinenkuchen und der Schmierwurst auf das Bett. Lisa rief ihre Station an und ließ sich Schwester Dora Graff geben.
    »Bitte, bringen Sie Erich Schwabe in mein Zimmer. Ja, seine Mutter ist da. Sagen wir … in zehn Minuten …«
    »So lange noch?« sagte Frau Schwabe.
    »Ich muß Ihnen erst etwas sagen, bevor Sie Ihren Sohn sehen.«
    Lisa setzte sich der alten Frau gegenüber auf einen der harten Stühle und atmete ein paarmal tief, ehe sie weitersprach. »Sie haben sich sicherlich Gedanken gemacht, warum Ihr Sohn nur Sie und nicht seine Frau sehen will. Das ist keine Laune oder Dummheit oder falsche Scham – ich sagte es vorhin nur, um die kleine Frau zu beruhigen –, sondern es ist verzweifelter Selbstschutz vor der Erkenntnis: Du bist kein Mensch mehr …«
    »Er … er ist kein … Mensch mehr …?« Frau Schwabe faltete die Hände in ihrem Schoß. Ihr gütiges Gesicht wurde fahl, der sonst so redefreudige Mund klappte zu.
    »Sie werden in wenigen Minuten Ihren Sohn Erich sehen. Bitte, glauben Sie mir …« Lisa schluckte krampfhaft, ehe sie weitersprach, »… es ist

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