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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Streicheln, weil sie wußte, daß viele Augen sie beobachten konnten. So, wie sie es tat, sah es unverfänglich aus, aber Rusch spürte, wie sehr sie ihn verstand.
    »Was hindert dich, ja zu sagen?« fragte er heiser.
    »Die Angst, Walter.«
    »Angst? Wovor?«
    »Vor dir. Du bist unberechenbar.«
    »Weil ich einsam bin, Lisa. Ich belüge mich selbst.«
    Lisa Mainetti senkte den Kopf. »Wie gut ich dich verstehe«, sagte sie leise. »Es ist das Recht der Einsamen, sonderbar zu sein.«
    »Wir haben uns beide gegenseitig nötig, spürst du das nicht, Lisa? Wir zwei könnten zusammen unsere eigene Welt aufbauen, wie sie schöner nicht denkbar ist.«
    »Vielleicht.« Lisa strich sich wieder über die schwarzen Haare und sah hinüber zu den Verwundeten und ihren Angehörigen. Die Bescherungsfeier war zu Ende, es gab Kaffee und für die Besucher und für alle, die essen konnten, Kuchen. Viele verschiedene Arten von Kuchen, die von den Müttern und Frauen mitgebracht und gestiftet worden waren.
    »Man sollte es versuchen, Lisa. Allein gehen wir sowieso zugrunde.«
    »Also die Ehe als Experiment? Fliegt die Sache in die Luft oder nicht?«
    Rusch wandte sich mit gequälter Miene ab. »Ich kann nicht mehr sagen, Lisa. Ich liebe dich. Das ist alles.«
    Lisa Mainetti strich sich den weißen Arztkittel glatt. Sie sah Erich Schwabe und seine Mutter in der Ecke sitzen und zu ihnen herübersehen. »Und ich liebe dich auch, Walter«, sagte sie leise. »Das ist das Schreckliche.«
    Mit schnellen Schritten ging sie hinüber zu Erich Schwabe, ehe Rusch etwas erwidern konnte.
    Um die gleiche Zeit, in der auf Schloß Bernegg die ersten Akkordeontöne aufklangen und Walter Hertz und Petra Wolfach als erste die Tanzfläche betraten, klopfte in Köln an die Kellertür des Hauses Horst-Wessel-Straße 4 der Luftwaffenfeldwebel Karlheinz Petsch.
    Er hatte den Arm voller Kostbarkeiten: zwei Flaschen Wein, eine Dauerwurst, eine Dose Keks, ein halbes Pfund Butter, etwas Schnittkäse, ein Kommißbrot und ein Paar französische Seidenstrümpfe mit schwarzer Naht. Woher er das alles hatte, war sein Geheimnis. Wie ein übermütiger Junge war er die Kellertreppe hinuntergekommen, pfeifend und schon von oben rufend: »Es kommt der Weihnachtsmann, mein Mädchen! Macht hoch die Tür, die Tor' macht weit!«
    Im Keller saß Ursula Schwabe auf der Kiste, die sie vor die verriegelte Tür geschoben hatte. Ein Zittern lief durch ihren schmalen Körper, als sie die Tritte und die Stimme Karlheinz Petschs hörte. Sie starrte hinüber zu Erichs Bild, das von dem flackernden Licht der drei kleinen Kerzen umflammt war.
    »Hilf mir«, sagte sie leise. »Erich, hilf mir! Er darf nicht hereinkommen. Warum hast du mich nicht bei dir haben wollen? Warum bin ich jetzt allein?«
    Feldwebel Petsch war an der Kellertür angelangt. Er drückte mit dem Ellenbogen des rechten Armes gegen die Klinke.
    »Abgeschlossen!« sagte er zu sich, dann stellte er die beiden Flaschen auf den feuchten Boden des Kellers und klopfte gegen die Tür.
    »Aufmachen, kleine Frau! Das letzte Weihnachtsfest in diesem Mistkrieg wollen wir feiern!«
    Ursula lehnte den Kopf gegen die Kellertür.
    »Gehen Sie!« rief sie mit erstickter Stimme. »Wenn Sie nicht gehen, rufe ich um Hilfe.«
    Feldwebel Petsch sah verblüfft gegen die rohen Bretter der Tür. »Das ist 'n Ding!« sagte er laut. »Wenn du wüßtest, Kleines, was ich alles hier habe! Für so was würde man heute Leute ermorden. Sogar ein paar Strümpfe hab' ich hier. Aus Paris. Seide mit schwarzer Naht! Einem Zahlmeister aus den Zähnen gezogen. Wenn ich mir diese Strümpfe an deinen Beinen vorstelle! Schon der Gedanke macht mich ohne Alkohol besoffen. Komm, mach auf!«
    Ursula schüttelte wild den Kopf. Sie wußte, es war sinnlos, um Hilfe zu rufen. Niemand würde sie hören. Nur durch die Durchbrüche konnte sie in die Nebenkeller flüchten, in verlassene, eingefallene Häuser, in denen die Ratten unter den Trümmern nach Freßbarem wühlten, nach vermoderten Lebensmitteln und vergessenen Leichen.
    »Gehen Sie!« sagte sie noch einmal. »Ich mache Ihnen nicht auf. Und wenn Sie versuchen, die Tür einzutreten – ich habe ein Beil hier. Und ich schlage zu – bestimmt!«
    »Frohe Weihnachten!« sagte auf der Kellertreppe Karlheinz Petsch. »Da rennt man einsam durch die Gegend und organisiert ein Festessen, um einem kleinen Mädchen eine Freude zu machen, und was tut sie? Sie will mit einem Beil um sich schlagen. Hab ich das verdient?«
    Ehe

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