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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu den Defekten um, um sie dort wieder anzunähen. Gerade rollte man einen Mann durch die Tür, dessen Nase und linke Gesichtshälfte mit breiten transplantierten Hautlappen bedeckt war.
    Oberst Mayrat drückte das Kinn an den Uniformkragen.
    »Sehen die alle so aus?« fragte er, etwas weniger forsch.
    »Das ist einer der Gesündesten!« sagte Lisa Mainetti. »Sie werden noch andere Gesichter sehen, Herr Oberst, den Feldwebel Schwabe zum Beispiel. Er sieht wie abgehobelt aus.«
    »Wirklich tragisch!« Oberst Mayrat fuhr sich mit dem Zeigefinger zwischen Kragen und Hals. »Wie stellen sich die Verwandten dazu? Die Mütter, die Frauen?«
    »Sie verfluchen den Krieg!« sagte Professor Rusch laut. »Und sie geben ihre ganze Liebe diesen armen Menschen.«
    Oberst Mayrat nickte heftig. »Die deutsche Frau!« sagte er fast enthusiastisch. »Sie hat sich fabelhaft benommen! Wäre es nicht eine Schande, meine Herren, wenn wir da den Krieg verlieren würden?«
    Die Besichtigung begann. Ein freundlich lächelnder Tod ging durch die Zimmer und drückte die Hände seiner Opfer.
    Im dunklen Kinosaal saßen Walter Hertz und Petra Wolfach. Sie hielten sich an der Hand wie zwei verirrte Kinder, und die Lieder, die Zarah Leander von der Leinwand mit voluminösem Baß sang, tönten an ihren Ohren und ihrem Verständnis vorbei. Sie spürten nur sich, den Druck ihrer Hände, die Nähe des anderen, die Berührung der Knie und das Pulsen des Blutes unter der Haut.
    Eine Viertelstunde lang hatte Walter Hertz die Qual einer kleinen Hölle gespürt. Er war zu früh gekommen und hatte außerhalb der Kinohalle gewartet, in einen Hausflur gedrückt, wie ein verletztes Tier den Schatten suchend. Lisa Mainetti hatte ihm einen herrlichen Verband gemacht, aber noch immer sah man sein völlig schiefes Gesicht und das abgerutschte Auge, das erst in einigen Monaten wieder durch Lidplastiken und die Verpflanzung eines Temporalishautlappens gerichtet werden konnte. Der erste Versuch, kurz nach seiner Einlieferung in Bernegg, den großen Defekt durch eine freie Verpflanzung von Epidermis zu decken, war mißlungen. Das Transplantat war geschrumpft und hatte sich abgestoßen.
    »Wo wirst du schlafen?« fragte Petra und drückte Walters Hand. Er hob die Schultern.
    »Ich weiß nicht. Das ist das Blöde bei so einem Nachturlaub. Wenn man niemanden hat … man muß schon die Nacht durchsaufen …«
    »Was machen denn die anderen?«
    »Die?« Walter Hertz zögerte. Er schämte sich, darüber zu sprechen. »Die haben ein Mädchen oder so«, sagte er stockend. »Die suchen sich was. Die wollen doch nur was erleben. Viele haben fast ein Jahr lang nicht …« Er schwieg und wußte nicht, wie er es ausdrücken sollte.
    Petra Wolf ach sah ihn kurz an. Er sah nach vorn, aber sie merkte, daß er gar nicht den Film betrachtete, sondern auf einen Punkt an der Wand starrte.
    »Du gehst nachher mit, ja?« fragte sie leise.
    Seine Hand zuckte in der ihren.
    »Wohin?«
    »Zu meinen Eltern. Wir haben vier Fremdenzimmer in unserem Haus. Da ist Platz genug.«
    »Hast du deinen Eltern gesagt …?«
    »Sie wissen, daß ich mich mit dir treffe. Ich habe ihnen erzählt, daß ich einen verwundeten Soldaten …«
    »Hast du gesagt, wie ich verwundet bin?«
    »N-ein. Aber das ist doch …«
    Walter Hertz schüttelte den Kopf. »Das ist durchaus nicht egal«, sagte er leise. »Ein Bein weg oder ein Arm – daran kann man sich gewöhnen. Aber kein Gesicht mehr …«
    »Vater war selbst Soldat im Ersten Weltkrieg. Du wirst sehen – wie zu Hause wirst du dich fühlen.«
    »Ich habe Angst«, sagte Walter Hertz kläglich.
    »Aber ich bin doch bei dir!«
    »Das ist es ja.« Er umklammerte ihre Hand, als wolle man sie ihm entreißen. »Ich habe Angst, dich zu verlieren … wenn … wenn sie mich sehen …«
    Nachher ging er doch mit.
    Auf einem Hügel etwas außerhalb Berneggs lag das Haus. Eine stattliche Villa im Jugendstil mit einem klassizistischen Säuleneingang. Sie sah merkwürdig aus, aber sie repräsentierte jenen Reichtum, bei dem Geschmacklosigkeit zum neuen Stil wird.
    »Da ist es!« sagte Petra und zeigte den Hügel hinauf. »Großvater hat es gebaut, und jede Generation hat etwas dazugebaut. Ich würde es abreißen lassen.«
    Sie liefen den gewundenen Weg hinauf, stolperten durch den Schnee und kamen atemlos vor dem Säuleneingang an. Die verglaste, schmiedeeiserne Flügeltür war offen, als habe man sie kommen sehen. Von irgendwoher aus dem Innern der Villa, gedämpft durch

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