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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einige Türen, erklang Klavierspiel.
    »Das ist Mama«, sagte Petra und zog Walter Hertz in die große Halle. »Jeden Abend spielt sie eine halbe Stunde Chopin oder Liszt, und Papa muß zuhören.«
    »Ich kann auch Klavier spielen«, sagte Walter Hertz, und dabei überfiel ihn wieder die schmerzende Angst, nicht mehr zu den Menschen zu gehören.

8
    Petra Wolfach schloß die Außentür und rief in die weite Diele: »Hallo!« Das Klavierspiel wurde nicht unterbrochen, aber im Hintergrund, unter einer breiten Treppe in den oberen Stock, öffnete sich eine Tür, und ein Hausmädchen erschien.
    »Ihr Herr Vater wartet schon«, sagte das Mädchen und kam näher, um die Mäntel abzunehmen. Da sah sie Walter Hertz. Sie riß die Augen weit auf, ein Zucken lief über ihr Gesicht, der Körper spannte sich in dem Willen, wegzulaufen, fort von diesem Anblick, der Entsetzen verbreitete.
    »Was ist denn?« fragte Petra laut. »Nehmen Sie doch Herrn Hertz den Mantel ab!«
    Das Mädchen tat es, mechanisch, mit spitzen Fingern, als sei es ein ekliger Gegenstand, den sie forttrug. Walter Hertz sah ihr nach, er stand da mit hängenden Armen und zuckendem Kehlkopf.
    »Ich … ich gehe doch besser«, sagte er leise, als Petra vom Spiegel zurückkam, wo sie sich rasch das Haar gekämmt hatte. »Wir haben uns zuviel für einen Tag vorgenommen. Es dauert nur eine Sekunde, und das Gesicht ist weg. Aber es dauert Jahre, bis die anderen, die Gesunden, uns wieder ansehen können. Ich habe es dir gesagt, Petra. Es ist zu früh mit mir. Bitte, laß mich wieder gehen!«
    »Du bleibst! Erna ist eine dumme Pute. Papa und Mama sind ganz anders. Du wirst es sehen.«
    Sie gingen durch die Halle, durch ein Speisezimmer und einen Salon und sahen durch eine breite Glastür den großen Wohnraum mit den Fenstertüren zum Park. In einem offenen Kamin aus rotem Marmor brannten dicke Buchenscheite, zwei Stehlampen verbreiteten einen gedämpften Schein über die mit Gobelinstoff bezogenen, schweren Sessel und den weißen Flügel. Eine hochgewachsene, schlanke, schwarzhaarige Frau saß davor und spielte Chopin. Zarte, schmale Finger glitten über die Tasten.
    »Mama war früher Pianistin, bevor sie Papa heiratete. Wir haben oft Hauskonzerte gegeben.« Petra legte die Hand auf die Klinke der Glastür. Walter Hertz stand im Dunkel des Salons, an einen alten, geschnitzten Schrank gedrückt.
    »Bitte, laß mich gehen«, flehte er.
    »Schämst du dich, daß du dein Gesicht geopfert hast?«
    »Nein, aber die anderen schämen sich, daß so etwas herumläuft!«
    Petra Wolfach drückte die Klinke herunter. Sie stieß die Tür auf und rief in einen perlenden Tonlauf hinein:
    »Da sind wir! Und das ist Walter Hertz!«
    Sie zog Hertz in den Raum. Der Feuerschein aus dem offenen Kamin flackerte und zuckte über seinen Kopf, über das schiefe Gesicht und das abgerutschte linke Augenlid, als läge dieser Kopf in einem Scheiterhaufen und schrumpfe in den Flammen zusammen.
    Frau Wolfach blickte von den Tasten auf, ihr Blick traf auf Walter Hertz, und das Nocturne von Chopin erstarb in einem grellen Mißklang.
    Walter Hertz senkte wieder den Kopf. Man brauchte nichts mehr zu sagen. Der Aufschrei des Klaviers sagte mehr als tausend Worte. Er zerriß die letzte winzige Hoffnung.
    »Guten Abend«, sagte er leise und rang mit sich, nicht loszuschreien. »Ich wollte nicht mitkommen. Bitte verzeihen Sie. Aber Petra ließ nicht locker. Darf ich mich gleich wieder verabschieden?«
    Hubert Wolfach, Fabrikant und als Chef eines Zulieferungsbetriebs der Rüstung unabkömmlich, erhob sich aus dem tiefen Sessel am Kamin. Er warf seiner Frau einen schnellen, fast befehlenden Blick zu und kam mit sichtlicher Jovialität auf Walter Hertz zu.
    »Sie sind Gast meiner Tochter und damit auch unser Gast, Herr Hertz«, sagte er und drückte dem Gesichtslosen die Hand. »Bitte verzeihen Sie, wenn … wenn der erste Eindruck … Aber das werden Sie gewöhnt sein! Es ist ein schreckliches Schicksal, wirklich. Aber unsere Ärzte sind so tüchtig, glauben Sie mir. Es wird sich wieder alles normalisieren.«
    Auch Frau Wolfach war nähergekommen. Sie reichte Walter Hertz ihre lange, schmale Hand hin, eine kühle, glatte Hand, die kaum, daß er sie spürte, auch schon wieder aus seinen Fingern glitt wie ein Schlangenleib.
    »Trinken Sie ein Glas Wein mit uns?« fragte sie.
    Wie sehr sie sich beherrscht, dachte Walter Hertz. Aber ihre Kälte ist noch grausamer als das natürliche Entsetzen, mit dem man mich

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