Das geschenkte Gesicht
sonst betrachtet.
»Ich möchte wirklich nicht stören«, sagte Hertz und blieb stehen.
»Nun kriegen Sie keine Komplexe, junger Krieger!« rief Hubert Wolfach. Er drückte Hertz in einen der Sessel und schob mit dem Fuß ein verkohltes Buchenscheit tiefer in die Flammen des Kamins. »Trinken wir einen Rotwein, ja? Rotwein ist blutbildend und stärkend. Das können Sie gebrauchen, was?«
»Walter wird heute nacht hier schlafen. Er hat einen Urlaubsschein bis morgen 24 Uhr«, sagte Petra. Frau Wolfach schwieg. Wie gefroren saß sie am Kamin, unbeweglich, weiß.
»Ich … ich möchte das wirklich nicht«, stotterte Hertz.
»Erna kann das erste Fremdenzimmer fertig machen!« Hubert Wolfach goß den Rotwein in die Gläser, hob seins in den zuckenden Schein der Flammen und ergötzte sich an der rubinroten Farbe seines Weines. »Aus Frankreich«, sagte er. »Ein echter Mouton Rothschild. Zwei Kisten hat man mir mitgebracht. Verbindungen, wissen Sie … Na, dann Prost, Herr Hertz!«
Es wurde wenig gesprochen. Hertz erzählte stockend von seiner Verwundung, von jenem Sommertag, dem 30. Juni 1944, an dem plötzlich vor ihm eine Rauchfahne aufstieg, die Erde aufriß und der Himmel versank. Eine unsichtbare Faust hatte ihn gegen die linke Seite des Kopfs geschlagen, er war in die Knie gebrochen und hatte eben noch gesehen, wie die Fontäne aus Erde und Feuer zusammensank und der blaue Sommerhimmel wiederkam. Als er später aufwachte, in einem rumpelnden Pferdewagen, der südlich Minsk nach Westen flüchtete, hatte er mit seinem Gesicht seine Jugend, seine Zukunft, sein Menschsein verloren. Er fand dies alles erst wieder unter den Händen Dr. Lisa Mainettis.
»Schrecklich, schrecklich«, sagte Hubert Wolfach und goß neuen Wein zu. »Jaja, die Kriege. Ich habe den Ersten Weltkrieg ja auch mitgemacht. Die Marneschlacht, Ypern, Cambrai, zwei Gasangriffe. Auch wir hatten viele Verluste. Wo gehobelt wird, fallen eben Späne.« Er klopfte Hertz mit väterlich-nationaler Güte auf die Schulter. »Aber keine Sorge, junger Krieger, nicht den Kopf hängen lassen! Unsere Ärzte kriegen das wieder hin. Und später wird man immer sagen: Das hat er für das Vaterland getan.«
Walter Hertz schwieg. Ihm war speiübel zumute. Er sah Petra an, und über den gähnenden Abgrund, der zwischen ihren beiden Welten lag, schien für diesen einen Augenblick lang kein Steg mehr zu führen.
Wenig später führte ihn Petra auf sein Zimmer. Sie gab ihm einen Kuß auf die verbundene Stirn. »Schlaf gut, Walter«, sagte sie.
»Gewiß. Du auch, Petra.«
Er wartete, bis sie aus dem Zimmer war. Er schloß die Tür ab und trat an den Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Lange sah er sich an, eine durch Binden und Leukoplaststreifen gemilderte Fratze.
»Nein«, sagte er und lehnte den Kopf an den Spiegel. »Nein, du kannst nicht mehr geliebt werden.«
Er löschte das Licht, zog die Vorhänge zurück, öffnete das Fenster und setzte sich in der Dunkelheit auf einen Stuhl. Unten lag Bernegg, dunkel, schemenhaft, Häuser wie Daumeneindrücke im Schnee. Auf den Höhen stand die dunkle Wand der Wälder. Weit weg, gegen Norden, jagten Blitze über den Nachthimmel. Flakfeuer, ein Luftangriff. Neue Tote, neue Trümmer, schreiende Menschen, neue Krüppel, neue Gesichtsverletzte.
Und später wird man immer sagen: Das hat er für das Vaterland getan, dachte Walter Hertz.
Ist das Vaterland das wert?
Ist es wie ein Vater zu uns?
Plötzlich dachte er daran, warum er hier in dem dunklen Zimmer einer feudalen Villa saß. Morgen früh würde eine Kommission durch das Lazarett gehen, die auch nur halbwegs Wiederhergestellten unter den Gesichtsverletzten würden herausgeholt werden. Zurück an die Front.
Das Vaterland!
Ein nimmersatter Moloch!
Der Dank!
Walter Hertz sah aus dem Fenster. Drei Meter unter ihm lag der tief verschneite Boden. Es würde nicht schwer sein, hinunterzuspringen und wegzugehen, irgendwohin, wo man nicht vom Vaterland sprach.
Im Wohnzimmer stellte Frau Wolfach die Gläser auf ein Tablett, Hubert Wolfach schloß die Flasche Mouton Rothschild in einen Wandschrank und schob mit einem großen, schmiedeeisernen Haken die verglimmenden Buchenscheite weiter zurück. Trotzig, mit zusammengepreßten Lippen stand Petra am Kamin, die Hände zu Fäusten geballt.
»Wie stellst du dir das vor?« fragte Frau Wolfach. »Sicherlich, er mag ein netter Mann gewesen sein …«
Diese Feststellung in der Vergangenheit bedurfte keiner weiteren
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