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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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immer heimlich in der Nähe von Bernegg wohnte.
    »Als erstes kipp' ick 'ne Molle!« sagte der Berliner, als er mit den anderen draußen im Gang stand. »Und der Baumann muß mir meine Fresse so verkleben, det ick ausseh' wie'n Student, der von der Mensur kommt. Und dann fahr' ick nach Würzburg. Leute. Da fällste weniger uff, und Auswahl haste och mehr! Taktik, Freunde! Wer fährt mit?«
    Es waren neun Mann, die sich dem Berliner anschlossen. Der Wastl Feininger war unter ihnen. Mit seinem mächtigen Rollappen allein auszugehen, schien ihm ein sinnloses Unternehmen. Auch wenn man ihn wie in einen Turban einwickelte. Zu neunen war es jedenfalls sicherer, daß man was erlebte.
    Still ging Fritz Adam zurück auf sein Zimmer. Der Schock des Weihnachtstages saß noch in ihm. Er hatte, als Schwester Dora Graff zu ihm ins Zimmer kam, alles vernichtet, was ihn an seine Frau erinnerte. Ihre Briefe lagen zerfetzt auf dem Boden, die Bilder waren zerrissen. Ein großes Bild hielt er noch in der Hand, die Fotografie von Irenes blondem Puppenkopf, und es war, als erwürge er sie mit seinen zitternden Fingern, als er das Bild weinend zerknüllte.
    Dora Graff war auch jetzt im Zimmer, als Fritz Adam mit dem Urlaubsschein zurückkam. Sie putzte die Nachtschränke und ordnete Vasen und verstreut herumliegende Zeitungen.
    Fritz Adam setzte sich auf sein Bett und legte den Urlaubsschein neben sich auf die glattgezogene Decke.
    »Ich habe Urlaub, Schwester«, sagte er bitter. »Zum erstenmal Urlaub.«
    »Ich weiß.« Dora Graff füllte Wasser in eine der Vasen. Zwei Alpenveilchen standen darin, letzte Erinnerung an einen weihnachtlichen Besuch.
    »Was soll ich jetzt mit einem Urlaubsschein? Er ist doch sinnlos. Wo soll ich denn hin?«
    »Sie müssen sich freuen, Fritz, daß Sie wieder hinaus dürfen.«
    »Freuen auf die Einsamkeit?«
    »Sie sind nicht einsam. Ich gehe mit Ihnen.«
    »Sie, Schwester?«
    »Man hat mir auch Urlaub gegeben. Wenn Sie wollen – wir können den Urlaub gemeinsam verleben.«
    Fritz Adam sah Dora Graff zu, wie sie zwei leere Tassen auf ein Tablett stellte und in einen kleinen Eimer die Aschenbecher auskippte. Dann nahm er den Urlaubsschein, faltete ihn sorgfältig und steckte ihn in die Rocktasche.
    »Heute abend? Nach dem Essen?«
    »Ja«, sagte Dora Graff. Sie drehte sich nicht um dabei.
    »Es … ist schön, daß Sie so viel Mitleid aufbringen, Schwester«, sagte Adam.
    Dora Graff stellte einen Aschenbecher mit einem Knall auf den Tisch zurück. Eine Ecke sprang aus dem Porzellan und kollerte unter den Tisch.
    »Wenn Sie nochmal von Mitleid reden, komme ich nicht!« rief sie wütend. Aber es schwang etwas in ihrer Stimme, was mehr war als Entrüstung.
    Fritz Adam stand von seinem Bett auf, bückte sich und legte das abgesprungene Porzellanstück auf den Tisch zurück.
    »Nun ist er kaputt«, sagte er.
    »Man wird ihn wieder kleben. Keiner wird es sehen.«
    »Wie ein Gesicht, nicht wahr?«
    Langsam drehte sich Dora Graff herum. Fritz Adam stand vor ihr, und sie sah seine schönen, blauen Augen und die braunen, lockigen Haare, sah sein zerstörtes Gesicht, verbrannt in der Glut eines in Flammen aufgehenden Panzers, ein Gesicht, aus Narben, rotem Fleisch und weißer, papierdünner Haut.
    »Genau wie ein Gesicht«, sagte sie leise.
    Und sie beugte sich vor und küßte ihn auf die harten, verschrumpelten Lippen.
    »Warum … warum tust du das?« fragte Adam mit erstickter Stimme.
    »Muß man alles erklären?«
    »Mich kann eine Frau doch nicht mehr lieben!« schrie er plötzlich. »Das ist doch Lüge! Das ist doch alles Lüge!«
    »Heute abend nach dem Essen«, sagte Dora Graff und nahm das Tablett. »Wir haben so viel Zeit, darüber nachzudenken.«
    Im Zimmer B 1 lag der Leutnant Rudolf Fischer, der Mann, dessen Gesicht nur aus einem Auge bestand. Er lebte noch immer, und niemand begriff es, auch Lisa Mainetti nicht.
    Er lag da, eingebettet in Polsterverbände, steif und stumm, und das Auge starrte ins Leere, der Blick irrte umher – von der Tür zum Fenster, vom Tisch zur Decke, vom Boden zurück zur Tür, als begriffe er nicht, was geschehen war. Nur seine Hände lebten. Sie lagen auf der Bettdecke, die Finger spreizten sich, zogen sich zusammen zur Faust, hoben sich einzeln und rieben sich aneinander. Mehrmals am Tage kam Dr. Mainetti zu ihm und gab ihm eine Infusion aus Kochsalzlösung und Traubenzucker. An den Zuckungen der Hände sah sie, wenn die Schmerzen unerträglich wurden. Dann injizierte sie wieder

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