Das Geschwärzte Medaillon (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
ohne etwas Vergleichbares zu sehen. Aber genau das war der Punkt. Es existierte nichts, das diesem Ort nahe kam. Und es war dieser Ort, der mich nun wieder gefangen nahm. Ich richtete mich in dem Bett auf, das schon so vielen meiner Vorfahren als erholsame Ruhestätte genutzt hatte. Meine Klamotten waren steif und klebten immer noch unangenehm an mir. Ich konnte nicht genau sagen, wie viel Uhr es war, aber die Sonne würde noch lange nicht im Ewigen Tal auftauchen. Ich sprang ungelenk aus dem Bett und griff nach meinem Rucksack, den ich einfach vor dem Bett hatte fallen lassen. Ich kramte nach einem trockenen Shirt und einer, hoffentlich ebenso trockenen, Hose. Ich fluchte leise, als ich weder das eine noch das andere finden konnte. Mein Blick wanderte mit gerunzelter Stirn durch das einfache Zimmer und blieb mit einem Seufzen auf dem, in die Wand eingelassenen, Schrank hängen.
»Dann wohl etwas davon«, grummelte ich leise zu mir selbst. Resignierend ging ich zum Schrank, der seine Anwesenheit nur durch die hervortretenden Griffe verriet. Die Vielfalt der darin aufbewahrten Kleidungsstücke war immer noch beeindruckend und dennoch hatte ich gegen jede Vernunft gehofft, eine Jeans und ein einfaches Oberteil zu finden. Etwas Derartiges befand sich natürlich nicht vor mir. Jeans und Shirt war das, was ich hier irgendwann hinterlassen würde, in der Hoffnung, dass nach mir noch einige Generationen an Seelensehern folgen würden. Ich war noch nie gut darin gewesen, Kleidung ihren Epochen zuzuordnen. Bis auf natürlich so offensichtliche Sachen, wie die Kleider der Blumenkinder in den Sechzigern und ich war auch noch in der Lage zu sagen, dass eines der Kleider definitiv eine mittelalterliche Tracht war, aber mehr konnte ich nicht identifizieren. Klar war, dass ich das meiste davon nicht anziehen würde. Ich trug eigentlich immer Jeans und ich ging auch nicht davon aus, dass sich das in Zukunft ändern würde. Alleine sich mich in einem dieser Reifröcke vorzustellen, war einfach lächerlich. Nie im Leben hätte ich in eine dieser Epochen gepasst, wo den Frauen nichts anderes erlaubt war als das Tragen von Kleidern. Nicht, dass ich mich auch nur im Geringsten an die damaligen Höflichkeitsformen und schwachsinnigen Regeln hätte halten können. Es war schon gut, dass ich im einundzwanzigsten Jahrhundert geboren wurde. Und in diesem Zeitalter stand ich nun vor einem Schrank, der mir nichts als die Vergangenheit anbot. Das oder der nasse Haufen am Fuß des Bettes. Eben hatte ich noch gesagt, dass ich nie etwas anderes als Hosen anziehen würde und im nächsten Moment griff ich schon nach einem Kleid. Sämtliche Hosen in diesem Schrank würde ich wirklich nie anziehen. Entweder hatten sie einen so großen Schlag, dass man aus dem Stoff sicherlich noch zwei weitere normale Jeans hätte machen können oder sie waren in irgendwelchen schrillen Farben. Ich hatte nach dem Schlichtesten und Einfachsten gegriffen, das ich zwischen den vielen Kleidungsstücken finden konnte. Es war ein cremefarbenes, eng geschnittenes Kleid, das um die Taille herum mit einem schwarzen Band, das sich zu einer Schleife verschlang, verziert war. Ein wenig widerwillig zog ich mich um und betrachtete mein Spiegelbild. Das Kleid reichte mir bis kurz über die Knie und sah überraschend okay aus. Das bedeutete nicht, dass ich mich sehr wohl darin fühlte, aber es war immer noch besser als ein Kleid mit Rüschen und Punkten oder so. Und so lange würde es bestimmt nicht dauern, bis meine normale Kleidung wieder tragbar war.
Trockene Kleider hatte ich jetzt also, nur wusste ich nicht, was ich eigentlich vorhatte. Es war mitten in der Nacht und ich war hellwach. Ich setzte mich für einen Moment an die Kante des Bettes und starrte auf die schimmernde Wand des Baumes. Ich liebte diesen Ort, aber wie das letzte Mal war mein Aufenthalt hier nicht aus völlig freiwilligen Beweggründen. Ich seufzte und verließ leise das Zimmer, ohne wirklich zu wissen, wohin ich wollte. Meine Stiefel waren ebenso nass wie alles andere, deshalb trug ich überhaupt keine Schuhe. Ich spürte die weiche Rinde unter meinen Füßen. Sie war unglaublich glatt. Sich hier einen Splitter zu holen, war schier unmöglich. Ich schlich durch die Gänge und folgte keiner bestimmten Richtung. Meine Füße fühlten ihren Weg und ich verschwendete keinen Gedanken daran, wohin sie mich führen würden. Es war, als würde ich mich durch einen Traum bewegen und hätte die Last des Denkens für
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