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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Kamera vor seiner Brust fest, während er unablässig weitergeschoben wurde. Ans Fotografieren war überhaupt nicht zu denken. Doch es beachtete ihn ohnehin niemand.
    Noch lag ein Murmeln über der Menge, aufgeregt, erwartungsvoll. Dann, plötzlich, bogen aus zwei Gassen junge Männer mit brennenden Fackeln ein, schoben sich mit den hoch erhobenen, funkenstiebenden Keulen flink durch die Menge, bis sie die Strega erreicht hatten. Sie nahmen links und rechts der schwankenden Strohpuppe Aufstellung und hoben die Fackeln ein weiteres Mal.
    In diesem Moment brach der Jubel los. Die Menschen schrien und johlten, und von irgendwoher ertönte schrille Musik, die Mimmo keinem ihm bekannten Instrument zuordnen konnte. Es mussten Flöten sein oder etwas in der Art. Eine Trommel kam hinzu, mit dumpfen, eindringlichen Schlägen und nach einer Weile ein Akkordeon, das eine merkwürdige, mit jedem Ton schneller werdende Melodie spielte, die nicht zu den Flöten und Trommeln passen wollte, sondern sich wie das Mädchen in dem Märchen mit den roten Schuhen ständig im Kreise drehte, immer schneller wirbelnd, ohne jemals zu enden.
    Die Menschen um Mimmo herum begannen, sich im Takt zu bewegen, mit erhobenen Armen, sofern der Platz dies zuließ, ein paar sangen mit, unverständliche Worte ohne erkennbaren Reim oder Refrain. Es klang orientalisch, arabisch. Ein An- und Abschwellen von Lauten.
    Mimmo wurde unwirklich zumute, als befände er sich mitten in einem Traum, sein Herz begann wild zu klopfen, und bald war er sich nicht mehr sicher, ob sich der Rhythmus der Trommel dem seines Herzschlags anpasste oder umgekehrt. Zwar Kalabrese, war Mimmo ein Kind der Stadt, er war nie wirklich mit den archaischen Bräuchen des Aspromonte in Berührung gekommen, und es hatte ihn auch nie danach verlangt. Er war stolz darauf, modern und aufgeklärt zu sein, er wollte nichts zu tun haben mit dem dunklen Aberglauben und den alten, heidnischen Traditionen, die den Süden Italiens vor den Augen der restlichen Welt noch immer so rückständig wirken ließen.
    Vor ihm warf die im Licht der Fackeln schwankende Puppe riesige, zuckende Schatten an die Hausmauern. Mit einer leichten Beunruhigung stellte Mimmo plötzlich fest, dass die Gasse hier von den schmalen, hohen Häusern völlig umschlossen war. Es gab keine Seitengassen, keine Nischen, nicht einmal einen zurückgesetzten Hauseingang. Die Menschen schoben sich an den Mauern entlang, ohne dass auch nur ein Meter breit Platz gewesen wäre für jemanden, der hätte ausscheren wollen.
    Mimmo malte sich einen Augenblick lang aus, was passieren würde, wenn eine Panik ausbräche, und er spürte, wie seine Hände schweißnass wurden und sein Magen zu flattern begann. Hastig fuhr seine Hand an seine Jacke. Die Waffe war noch an ihrem Platz. Gott sei Dank. Mimmo blinzelte, als ihm der Schweiß von der Stirn in die Augen tropfte, und er versuchte vergeblich, ihn abzuwischen. Es war unmöglich. Seine Hände steckten wie sein ganzer Körper in dieser zuckenden, tanzenden Menschenmasse fest. Er versuchte, seinen Herzschlag von dem hetzenden Trommelschlag zu lösen, der ihm tief in seine Eingeweide fuhr und ihn schwindlig machte. Doch es gelang ihm nicht. Nach einer Weile endlich stockte der Zug, und Mimmo sah, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Einige Meter vor ihm öffnete sich die Gasse, und er konnte unterhalb das rosafarbene Rathaus erkennen. Unwillkürlich atmete er auf. Um einiges gelassener ließ er sich weiterschieben, die Treppen hinunter auf den hell erleuchteten Platz, bis sie sich schließlich in einem großen Kreis um die Strohpuppe versammelt hatten, die jetzt auf einer Holzplattform in der Mitte stand. Nun konnte Mimmo sie auch von vorne sehen. Sie ähnelte mehr einer Bäuerin als einer Hexe, mit einer geblümten Schürze aus rotem Stoff und einem Korb an den einen Stroharm gehängt, in dem Blumengirlanden aus Plastik lagen. Das Gesicht war mit grober, ungelenker Hand auf das Stroh gemalt, riesige Augen in schwarz und weiß, ein grellroter Mund. Nur die Nase erinnerte an eine Hexe, scharf gebogen zog sich das gebündelte Stroh fast bis zum Kinn hinunter und gab dem wie von Kinderhand bemalten Gesicht etwas Tückisches, Vogelartiges.
    Plötzlich erloschen die Straßenlampen, und der Platz lag in völliger Dunkelheit, nur spärlich erleuchtet von den zuckenden Fackeln der Männer neben der Strohpuppe. Die unsichtbare Trommel hinter Mimmo stellte ihren enervierenden Schlag ein, stattdessen ertönte

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