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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Kind immer ihren Kopf hinausgestreckt und gewunken, wenn sie von ihrer Großmutter wieder nachhause gefahren war. Der Wind hatte ihre Haare zerwühlt und ihr die Luft zum Atmen genommen, wenn sie sich ihm entgegengedreht hatte. Jetzt gab es Klimaanlagen, die nicht funktionierten, und eine Heizung, die die Temperatur in ihrem Abteil mittlerweile ins Unerträgliche gesteigert hatte. Sie zog an ihrer Zigarette, bis nur noch der Filter übrig war, dann warf sie den Stummel auf den Boden und trat ihn aus, was ihr einen strengen Blick der antiautoritären Mutter einbrachte, die sie kopfschüttelnd musterte. Clara war kurz versucht, ihr die Zunge herauszustrecken, wie es ihr Sohn ihr gegenüber schon beim Einsteigen gemacht hatte, wandte sich dann aber ab und starrte wieder hinaus. Sie näherten sich dem Brenner, der Regen begann langsam in Schnee überzugehen.
     
    Mimmo Battaglia traf am späten Nachmittag ein. Es war ein fast hochsommerlich heißer Tag gewesen, der sich nur zögernd verabschieden wollte und zum Abschied das für das abendliche Fest erwartungsvoll herausgeputzte Städtchen noch ein letztes Mal in seine feurigen Strahlen tauchte. Mimmo parkte unten, unweit der Hauptstraße, in einer kleinen, engen Seitengasse in Fahrtrichtung, um sich sofort wieder aus dem Staub machen zu können. Von dort führte eine steile, nach Katzenpisse stinkende Treppe nach oben in die Altstadt, ein verborgener Schleichweg, den er vor ein paar Tagen, als er hier war, um die Lage auszukundschaften, per Zufall entdeckt hatte und der wie geschaffen für seinen Plan war. Zunächst hatte er unbemerkt bleiben wollen, bald aber eingesehen, dass es nicht möglich war, zu viele kannten ihn, zu viele wussten, dass er bei der Zeitung arbeitete. So würde er also als Journalist auftreten, den Umzug begleiten und Fotos machen. So würde er auch den Jungen in Sicherheit wiegen. Die Kamera hatte er sich umgehängt, sie lag schwer auf seinem ausladenden Bauch. Und dann, wenn alle Aufmerksamkeit auf Filippo gerichtet war, würde er blitzschnell und unbemerkt, den Fotoapparat mit der Pistole in seiner Tasche tauschen, schießen und sie wieder verschwinden lassen. Es würde ganz einfach sein, und niemand würde vermuten, dass Mimmo Battaglia, der brave und wackere Journalist des Calabrese , alter Freund von Filippos Vater, der Schütze war. Aus Pietätsgründen würde er dann natürlich davon absehen, von der Leiche Fotos zu machen und sich stattdessen unauffällig zurückziehen. Das würde man verstehen.
    Schwitzend und schnaufend erklomm er die steile Treppe, die unweit des Rathauses auf die bereits prächtig geschmückte Piazza führte. Girlanden in den Farben der italienischen Tricolore waren quer über den Platz und die angrenzenden Gassen gespannt, und vor den Häusern standen Kübel mit silberblättrigen Stauden. Aus manchen Fenstern im ersten Stock hingen rot-gelbe Fahnen, die Farben des Wappens von San Sebastiano. Es herrschte hektisches Treiben, die letzten Stände wurden aufgebaut, und ein paar Arbeiter hämmerten noch an einer Tribüne aus Brettern und Eisenstangen herum. Es gab eine kleine Bühne mit Scheinwerfern und einem Lautsprecher. Filippo war nirgends zu sehen. Mimmo Battaglia setzte sich auf eine der Steinbänke, um ein wenig zu verschnaufen, und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Oberhalb der Piazza wand sich eine steile Gasse die Altstadt hinauf bis zum Dom, der hoch oben über den Dächern thronte. Dort oben sollte die Prozession ihren Anfang nehmen. Mimmo sah auf seine Armbanduhr. Es war noch genug Zeit, einen Happen zu essen, bevor er sich an den weiteren Aufstieg machte.
     
    Der Lärm brach unvermittelt los. Gerade eben noch hatte die Menge stumm den öligen Worten des Bürgermeisters gelauscht und den inbrünstig gemurmelten Segen des Pfarrers unter hastigen Kreuzzeichen über sich ergehen lassen, dann stellte sie sich in unordentlichen Reihen hinter der riesigen Strohpuppe, der Strega, auf, die von sechs Männern auf Stangen herbeigetragen worden war. Gab jemand das Zeichen zum Aufbruch, oder setzte sich der Zug von ganz allein in Bewegung? Stockend und schwerfällig drängte sich die Menschentraube in die enge Gasse hinein, die vom Domplatz hinunter zur Piazza führte. Mimmo wurde gegen eine Hausmauer gedrückt, dann, eine Sekunde später befand er sich mitten zwischen den vorwärtsdrückenden und -stoßenden Menschen, ohne dass er etwas dagegen hätte tun können. Krampfhaft hielt er seine

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