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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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erwartungsvoll, andere mit ängstlichen Augen. Die Puppe begann zu taumeln. Große glühende Fetzen fielen herab, und die Menge wich raunend zurück. Eine Frauenstimme rief irgendwo » Basta !«, und Mimmo fand auch, dass es jetzt genug war. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen. Endlich, nach einer Ewigkeit, wie es ihm schien, kippte die Puppe im Zeitlupentempo nach links und heraus kroch eine Gestalt, schwarz gegen das hell auflodernde Feuer, in dem die Frühlingshexe lautlos in sich zusammenfiel.
    Jubel brandete auf, als der Tänzer, offensichtlich unverletzt, in Siegespose die Hände in den Himmel streckte. Das Gesicht des jungen Mannes war rußverschmiert und glänzte von Schweiß, doch seine Augen leuchteten. Die Zuschauer waren nicht mehr zu halten, sie schrien und pfiffen ohrenbetäubend, und Mimmo konnte nach einer Weile heraushören, dass der Mann Gabriele hieß und ihm offenbar eine Art Rekord gelungen war. Während sich die Zuschauer in die Mitte drängten und den Bezwinger der Strega auf ihre Schultern hoben, gelang es Mimmo, sich dem Sog zu entwinden und außerhalb der Menge zu bleiben. Er ging ein paar Schritte zurück und betrachtete die jubelnden Menschen nachdenklich. Etwas war aus den Fugen geraten in ihm während der Tarantella. Es beunruhigte ihn auf eine Art und Weise, die er nicht kannte. Es war, als ob eine Tür geöffnet worden wäre, tief in ihm verborgen. Doch es war kein befreiendes Gefühl, kein Aufatmen und Hindurchgehen. Es war ein entsetztes, grauenhaftes Begreifen, ein Begreifen nicht mit dem Verstand, sondern mit dem, was von seinem Herzen noch übrig geblieben war: Er hatte sich mit dem Teufel eingelassen.
    In dem Moment flammte direkt hinter ihm ein Scheinwerfer auf und tauchte den nur vom Feuerschein der verglühenden Strega noch erhellten Platz in ein gleißendes Licht. Mimmo zuckte zusammen. Doch er musste sich nicht umdrehen. Er wusste, was das zu bedeuten hatte, und schloss gequält die Augen, seine Hand noch immer auf die Brusttasche seiner Jacke gepresst, die plötzlich zentnerschwer zu wiegen schien: Es hatte begonnen.
     
    In Bozen herrschte wieder Frühling. Sie hatten den unwirtlichen Alpenpass überquert und waren mit jedem Kilometer, den sie in Richtung Süden zurücklegten, der Wärme entgegengefahren, bis die Graupelschauer und der nasse graue Schnee, der oben noch neben den Gleisen gelegen hatte, nur noch ferne Erinnerung waren. Die Stadt lag jetzt vor ihnen im hellen, nachmittäglichen Sonnenlicht, doch Clara wurde deswegen nicht leichter ums Herz zumute. Sie wünschte fast, die Schneeschauer hätten sie begleitet, wären als einsame graue Wolke über ihrem Kopf mit ihr gereist, um ihrer Stimmung zu entsprechen. Sie stieg aus und sah sich suchend auf dem Bahnsteig um. Terra materna stand auf dem Zettel, auf dem sie sich die Telefonnummer und Adresse der fremden Frau notiert hatte, die heute Morgen bei ihr angerufen hatte. Es war der Name einer Organisation hier am Bahnhof von Bozen, hatte ihr die Frau, die Raffaela hieß, im weichen Südtiroler Dialekt erklärt. »Eine Hilfsorganisation für aus Deutschland abgeschobene Landsleute«, und Clara hatte bei diesen Worten tiefe Scham empfunden.
    Es dauerte eine Weile, bis sie das Büro von Terra materna fand, es war ziemlich versteckt am anderen Ende des Bahnhofs, ein schmaler, kleiner Raum mit einer Menge Anzeigen und Plakaten an den Wänden. Eine hübsche, dunkelhaarige junge Frau mit der zarten Figur einer Zwölfjährigen und einem offenen Lächeln stellte sich als Raffaela vor und bat Clara in ein noch kleineres Hinterzimmer, in dem auf einer Kochplatte in der Ecke eines zerschrammten Sideboards eine Mokkakanne blubberte. In der Mitte des winzigen Raumes standen zwei Stühle aus Aluminium und ein runder Tisch, auf dem sich Papiere türmten. Zuoberst lag ein dünner blauer Heftordner mit einer angetackerten Visitenkarte. Clara erkannte sie als ihre eigene, die, die sie Angelo gegeben hatte. Es war umsonst gewesen. Er hatte sie nicht angerufen.
    »Möchten Sie einen Kaffee?«
    Clara nickte dankbar. »Gerne. Darf ich rauchen?«
    Die junge Frau schob ihr einen Aschenbecher hin, goss die tiefschwarze, dicke Flüssigkeit aus der Kanne in zwei kleine Espressotassen und setzte sich. Während sie trank, musterte sie Clara ungeniert, und Clara gab den Blick schweigend zurück. Raffaela trug eine enge, schwarze Dreiviertelhose mit Aufschlägen und ein knappes T-Shirt, auf dem stand: Come on Baby, light my fire …,

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