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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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auf dem Spiel stand. Ohne den Druck, den die Öffentlichkeit, die Presse, auszuüben imstande war, war Filippo völlig schutzlos. Wenn etwas über seine Aktion am nächsten Tag im Calabrese stand und vielleicht andere Blätter nachzogen, wenn man aufmerksam darauf wurde, was in diesem Nest in den Ausläufern des Aspromonte vor sich ging, würden sie vielleicht zögern. Er scheute allzu öffentliche Aktionen, wenn es sich vermeiden ließ. Er agierte lieber im Halbdunkel der Hinterzimmer. Dennoch täuschte sich Filippo, wenn er glaubte, Mimmo Battaglia böte ihm Schutz. Denn Orazio Sant’Angelo war schneller und schlauer gewesen. Selbst wenn er tatsächlich noch nichts von Filippos geplanter Aktion wissen sollte, saß er längst am längeren Hebel, denn er hatte den Mörder für Filippo bereits bestimmt. Am Tag nach dem Fest würde vielleicht etwas über Filippo in den Zeitungen stehen, aber mit Sicherheit nicht das, was er sich vorgestellt hatte.
    Mimmo Battaglia strich mit sanften Fingern über die Waffe auf seinem Nachttisch. Er war dafür ausgewählt worden, Filippo zu töten. Und es gab kein Entrinnen. Für ihn nicht und auch nicht für den Jungen. Wenn er es nicht tat, würden andere kommen. Und dann würden sie beide sterben. Wie Raffaele de Caprisi damals so oder so gestorben wäre, die Frage war nur, ob er, ob Mimmo Battaglia ihm dabei Gesellschaft geleistet hätte. Oder eben nicht. Mimmo hatte sich entschieden, den Tag von Filippos Aktion für seine Tat auszusuchen. Warum, wusste er selbst nicht genau. Er hätte es längst tun können. Aber er redete sich ein, es wäre die beste Gelegenheit bei all den Leuten, die auf den Beinen waren, bei dem Tumult, würde er selbst vielleicht unbemerkt bleiben und wieder verschwinden können, ohne dass ihn jemand aufhielt. Und wer weiß, vielleicht würde ihm das noch eine besondere Hochachtung von ihm einbringen, für seinen Mut, mitten in der Menge der Menschen zur Tat zu schreiten und Filippo für seine Ungeheuerlichkeit unverzüglich bezahlen zu lassen. Es hätte eine ganz besondere Wirkung. Mimmo nickte und schob die Waffe in die Innentasche seiner Jacke. Er würde ihm dankbar sein, dass er den Zeitpunkt so geschickt gewählt hatte, so viel war sicher.
    Nie würde er sich eingestehen, dass er vielleicht aus anderen Motiven bis heute gewartet hatte. Dass er aus einem unbestimmten Schuldgefühl für Filippo und dessen Vater heraus ihm noch wenigstens die Gelegenheit geben wollte, das zu tun, was er sich vorgenommen hatte, bevor er starb. So ein Gedanke jedoch war nicht erlaubt, brachte er doch sein ganzes Gerüst ins Wanken, das er sich in den letzten Wochen so mühsam errichtet hatte und auf dem er jetzt stand, ganz oben auf der letzten Stange, ohne die Möglichkeit eines Rückzugs. Ein falscher Schritt und er würde straucheln und fallen. Lieber sollte der Junge fallen.
     
    Der Zug war brechend voll, und Clara war froh, Elise bei Willi gelassen zu haben. Draußen war es neblig und kalt wie im November, und Regen prasselte gegen die schmutzverschmierten Scheiben. Sie hockte mit angezogenen Beinen am Fenster und starrte hinaus in die unwirtliche Landschaft. Waren das die Eisheiligen? Sie wusste das Datum nicht mehr genau, aber sie glaubte sich zu erinnern, dass diese kalten Tage immer um diese Zeit kamen. » Die drei Eisheiligen sind übers Land gezogen, und haben Schwindsucht in der Felder Brust gespuckt …«, murmelte Clara leise vor sich hin, während der Zug an den wolkenverhangenen, graublauen Bergwänden entlang den Brennerpass hinaufkroch, dann zuckte sie zusammen, weil ihr der kleine Junge, der mit seiner Familie in ihrem Abteil saß, zum wiederholten Male eine große aufblasbare Spiderman-Figur auf die Beine schlug. Die Mutter lächelte entschuldigend, ließ ihren Sohn jedoch gewähren. Clara warf ihr einen giftigen Blick zu, dann packte sie ihre Zigaretten und ging hinaus auf den Gang. Immer wieder versank sie in dem Irrglauben, eine Zigarette könnte ihren Schmerz lindern oder sonst irgendetwas verbessern. Doch das war nie der Fall. Nichts wurde durch eine Zigarette jemals besser, nichts schöner, nichts leichter. Und doch zog sie an dem dünnen, blassen Glimmstängel, als hätte es eine Bedeutung, als wäre es irgendwie wichtig, diese eine Zigarette noch zu rauchen. Sie stand am Fenster und überlegte, wann sie damit begonnen hatten, die Zugfenster hermetisch zu verschließen. Früher konnte man sie öffnen, wenigstens das obere Drittel. Sie hatte als

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