Das Gesetz Der Woelfe
dazu elegante, zierliche Sandalen mit spitzen kleinen Absätzen, die silbern lackierte Zehen freigaben.
»Sie waren also seine Anwältin«, begann sie unvermittelt und nahm den Heftordner vom Stapel herunter.
»Ja.« Clara nickte und nippte von dem starken, bitteren Kaffee, ohne den Zucker zu vermissen, der unberührt in einem angeschlagenen Glas auf dem Sideboard stand.
»Konnten Sie nicht verhindern, dass er abgeschoben wird? Konnten Sie denn gar nichts tun?« Die Frau sah sie an.
Der Angriff kam unerwartet und traf Clara bis ins Mark. Sie stellte die Tasse ab. Es klirrte leise, weil ihre Hände zitterten. »Nein«, sagte sie leise und fühlte sich, als ob man sie geschlagen hätte. »Nein, ich konnte nichts tun.«
Raffaela nickte langsam und senkte ihren Blick auf die Papiere vor ihr: »Es war eine Überdosis Heroin. Sie haben ihn vorgestern in der Bahnhofstoilette gefunden, da war er schon einige Stunden tot.« Sie wippte mit einem schlanken, gebräunten Fuß. »Er hatte nichts bei sich. Kein Gepäck, keinen Ausweis, keine Adresse. Wissen Sie vielleicht, woher er stammte?«
Clara kramte den Zettel aus ihrer Tasche, den Angelo ihr im Gefängnis gegeben hatte, und reichte ihn Raffaela. »Er kommt … kam, aus Kalabrien, aus einem Ort namens Torre Calo. Hier, die Adresse seiner Mutter. Ich weiß nicht, ob es auch einen Vater gibt.«
Raffaela zog einen Notizblock aus einer Schublade unter der Kochplatte und schrieb die Adresse sorgfältig ab, bevor sie den Zettel Clara zurückgab. »Wenn wir nicht zufällig Ihre Visitenkarte in seiner Hosentasche gefunden hätten …« Sie zuckte mit den Schultern und ließ offen, was mit namenlosen Toten geschah, die bei ihnen strandeten.
Clara drückte die Zigarette aus und nahm all ihren Mut zusammen. »Kann ich ihn sehen?«
Clara war in ihrem Leben noch nie in der Gerichtsmedizin gewesen und hatte mit Ausnahme ihrer Großmutter, die an einem heißen Augusttag friedlich in ihrem Bett eingeschlafen war, nachdem sie gebeten hatte, die Fensterläden zu schließen, auch noch keinen Toten gesehen. Damals war sie fünfzehn oder sechzehn gewesen.
Sie gingen einen weiß gekachelten Flur entlang. Es war kalt, und Clara sah, wie sich Raffaela, die vor ihr ging, fröstelnd die nackten Arme rieb. Am Ende des Flurs befand sich eine Milchglastür, und Raffaela drückte auf einen Klingelknopf an der Wand. Als ein Summen ertönte, deutete Raffaela in Richtung Ausgang. »Ich warte oben, wenn es Ihnen recht ist.«
Clara nickte. »Natürlich.«
So trat sie allein in den großen, mit langen Neonröhren erleuchteten Raum. Ein kleiner Mann im Arztkittel und mit sanft gewellten Locken kam auf sie zu und stellte sich als Dr. Azzarà vor. Er wusste bereits Bescheid, dass sie kommen würde, und führte sie zu einem Metalltisch auf der anderen Seite des Raumes. Clara schluckte, als sie den zugedeckten Körper sah und zögerte unwillkürlich. Dr. Azzarà warf ihr einen fragenden Blick zu. »Möchten Sie lieber wieder gehen?«
Doch Clara schüttelte den Kopf und trat entschlossen an den Tisch.
Dr. Azzarà trat auf die andere Seite und schlug das Tuch zurück.
Fremd sah der Tod aus. Fern und leer und endgültig. Angelos Haut hatte den olivfarbenen Ton verloren, war wächsern gelb, fast grünlich unter dem kalten Neonlicht. Um den Mund herum eingefallen, mit farblosen Lippen, wirkte seine Nase spitz, sein Kinn knochig wie das eines alten Mannes. Man konnte nicht mehr sehen, wie jung er gewesen war.
»Er war dreiundzwanzig«, sagte Clara und sah Dr. Azzarà an. »Erst dreiundzwanzig.«
Der Arzt nickte. »Ich hatte ihn schon etwa auf dieses Alter geschätzt.«
Clara atmete tief, versuchte, alle Gefühle wegzudrängen, nur zu schauen, nur da zu sein. Sie versuchte, Distanz wie eine Wand aus Glas zwischen sich und den Toten vor ihr zu schieben, der einmal ihr Mandant gewesen war. Es gelang ihr nur unzureichend, aber es reichte immerhin, um stehen zu bleiben. Heroin hatte Raffaela gesagt, und Claras Blick wanderte weg von Angelos Gesicht, zu seinen nackten Armen. In der linken Armbeuge war ein Einstich zu sehen, umgeben von einem dunklen Bluterguss. Am Hals und an den Oberarmen hatte er ebenfalls blutunterlaufene Flecken. Sie deutete darauf: »Was ist das?«
»Hämatome. Aber ohne erkennbares Muster. Er ist wahrscheinlich gefallen.« Er deutete auf einen fast verheilten Bluterguss unterhalb der Rippen, die erbärmlich weit aus seinem mageren Körper hervorstanden. »Das hier stammt jedoch von
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