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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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könnte sich an ihr verbrennen.
    Dann war Clara draußen. Sie holte tief Luft und zündete sich eine Zigarette an. Sie hatte es überstanden.
     

KALABRIEN
    E tu t’ha fari randi, prestu ha crisciri
Sferri e cuteddhi sempri ha maniari
L’onuri da famigghia ha manteniri
Figghiuzzu a to patri l’ha vendicari 
    Du musst groß werden, schnell musst du wachsen
Die Kunst der Waffe und des Messers musst du erlernen
Die Ehre deiner Familie musst du bewahren
Söhnchen, deinen Vater musst du rächen  
 
    Aus: »Omertà, Onuri e Sangu; Il Canto di Malavita«
Traditionelle Lieder der kalabresischen Mafia
     
    »Du kannst das nicht tun.« Die Stimme der Baronessa, sonst fest und kräftig, zitterte.
    Filippo schwieg. Seine schwarzen Augen waren die der Großmutter, Augen der Caprisis.
    »Du hast doch nicht etwa schon damit angefangen?«
    Filippo hielt ihrem Blick stand. Kein Wort kam über seine Lippen, doch es war auch nicht notwendig. Seine Großmutter verstand ihn auch so. Sie hatte ihn immer verstanden. Selbst als sein Vater noch gelebt hatte, in den helleren Zeiten seiner Kindheit, war es die nonna gewesen, die mit ihm gespielt hatte, die Einladungskarten für den Kindergeburtstag gebastelt und später seine Hausaufgaben überwacht hatte.
    Seine nonna hatte ihn auch von der Schule abgeholt damals, als sein Vater gestorben war.
    »Zerfetzt von einer Bombe!« und »In Stücke gerissen!«, hatte in den Zeitungen gestanden, und er las jede einzelne, obwohl die Baronessa wie ein Geier darüber wachte, dass er sie nicht zu Gesicht bekam. Doch das nützte nichts. Er fand alle versteckten Zeitungen. Hinter der Olivenpresse saß der Zehnjährige dann und las Zeile für Zeile. Einiges hatte er nicht verstanden, doch wie sein Vater ums Leben gekommen war, das war ihm klar geworden. Schlimmer noch als der Text waren die Fotos gewesen: Papas Auto, ein verkohlter Haufen Blech und Scherben und auf dem Fahrersitz, der merkwürdig unversehrt geblieben war, ein dunkler Fleck. Papas Blut war das. Es war ein großer Fleck gewesen, und ein paar Glasscherben hatten darauf gelegen. Filippo musste ein paar Mal die Augen ganz fest zukneifen, bevor er wieder hinsehen konnte. Und dann bemerkte er noch etwas auf dem Foto: Auf der Mittelkonsole, zwischen dem Aschenbecher und dem Schaltknüppel lag Papas Brille, die mit dem schwarzen Gestell, die er immer getragen hatte. Filippo hätte sie gerne als Erinnerung gehabt, doch als er seine nonna fragte, was denn aus Papas Brille geworden sei, hatte sie ihn nur ganz komisch angeblickt und in den Arm genommen. Er wollte nicht sagen, dass er die Brille auf einem Zeitungsfoto gesehen hatte, denn dann hätte die nonna ja gewusst, dass er ihr Versteck entdeckt hatte, und hätte womöglich ein neues, besseres gesucht. Dann, später, als er neben seiner nonna in Papas Schlafzimmer saß und zusah, wie all diese Menschen weinend und schreiend am geöffneten Sarg vorbeigingen und er die Küsse und Umarmungen teilnahmslos wie ein Stein über sich ergehen ließ, wunderte er sich, dass sein Vater, wie er in seinem schönsten schwarzen Anzug und den polierten Schuhen im Sarg lag, noch ganz vollständig zu sein schien, obwohl er doch in Stücke gerissen worden war. Und er hatte die Brille auf. Es war genau seine Brille, die von dem Foto. Und als er seine nonna ansah, lächelte sie ein wenig und drückte seine Hand ganz fest, und er wusste, dass sie sich darum gekümmert hatte, dass sein Papa die Brille zurückbekam. Da war er froh gewesen, und er hätte sie auch nicht mehr als Erinnerung gewollt, denn schließlich gehörte sie noch immer seinem Papa. Doch das Fotos von dem kaputten Auto und dem Blutfleck auf dem Sitz, das hatte er behalten.
    Er besaß es noch heute, mehr als sieben Jahre später, doch er hatte es schon sehr lange nicht mehr angeschaut. Vielleicht würde er es nie mehr tun. Es hatte noch ein paar Bomben gegeben seit damals, in Autos, unter Brücken, sogar auf der Autobahn. Und jedes Mal die gleichen Fotos. Filippo, der noch immer jeden Artikel genau las, verstand zwar längst alle Sätze und Wörter und auch die Wörter dazwischen, die nicht geschrieben waren und die man sich dazudenken musste, doch eines verstand er heute noch genauso wenig wie damals. Er konnte nicht begreifen, warum sein Vater sterben musste. Und je mehr er darüber nachdachte, desto weniger verstand er. Natürlich kannte er den Hintergrund. Er wusste, dass sein Vater ein unbequemer Journalist gewesen war. Störend für gewisse

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