Das Gesetz Der Woelfe
Niederbayern oder in der Oberpfalz. Ich könnte mich schon mal umhören.« Er warf Clara einen tiefen Blick zu: »Aber nicht umsonst.«
Clara verkniff sich ein Lächeln. Sie kannte dieses Spiel, es war immer das Gleiche, seit sie sich damals vor zehn Jahren kennengelernt hatten. Pöttinger wäre wahrscheinlich zu Tode erschrocken, wenn sie seine scherzhaften Avancen einmal erwidern würde. Sie warf ihm einen koketten Blick zu. »Du könntest mich morgen Abend zum Essen einladen.«
»Mit dem allergrößten Vergnügen! Was hältst du vom Gattopardo. Oder wir gehen in den Bogenhausener Hof, oder …«
»Pizzeria Napoli. Ainmillerstraße.« Clara grinste. »Mir ist so nach Spaghetti.«
»Ach.« Pöttinger hob die Augenbrauen, dann zuckte er ergeben mit den Achseln. »Wie du willst. Auch kapriziöse Wünsche werden erfüllt.«
Er packte seine zerfledderte Akte unter den Arm und stand auf. »Morgen um acht. Ich hol dich ab. Aber jetzt muss ich los. Der Kampf geht weiter.« Er ballte seine Hand zur Faust und lachte sein dröhnendes Lachen. »Habe die Ehre, Frau Kollegin!«
Clara warf einen Handkuss zurück und schaute ihm nach, wie er in seinem knitterigen Anzug und den klobigen Schuhen, die Akte unter den Arm geklemmt, zum Ausgang schlenderte. Arno Pöttinger schien nie in Eile zu sein. Immer fand er Zeit, noch eine Zigarette zu rauchen, einen nervösen Mandanten zu beruhigen oder Anekdoten aus seinen wilden Zeiten zum Besten zu geben. Wenn man ihn nur so kannte, hielt man es kaum für möglich, dass er im Gerichtssaal ein ganz anderer war. Arno Pöttinger war einer der gefürchtetsten Strafverteidiger in der Stadt. Scharfsinnig und scharfzüngig kämpfte er mit harten Bandagen und beileibe nicht immer fair. Warum er trotzdem nicht zu den ganz Großen zählte, lag daran, dass er seine Klienten nach ganz eigenwilligen Methoden auswählte. Er übernahm längst nicht jedes Mandat. Sein Elixier war der Kampf gegen die Obrigkeit. Was er früher in Demonstrationen und Hausbesetzungen ausgelebt hatte, tat er nun im Gerichtssaal. Meist erfolgreich und immer zum Leidwesen der Staatsanwälte und Richter. Kompromisse waren bei Pöttinger nicht zu haben.
Clara stand auf und brachte ihr Tablett zurück. Die Kantine war jetzt fast leer. Richter Oberstein war nirgends mehr zu sehen. Während sie durch den endlos langen Korridor zurück zum Ausgang ging, wanderten ihre Gedanken in eine ganz andere Richtung. Sie kreisten um ein düsteres Gebäude, um hohe Mauern und das erschreckend endgültige Geräusch, das schwere Türen verursachten, wenn sie ins Schloss fielen. Ihr brach der Schweiß aus, und sie spürte, wie ihr Herz heftiger zu klopfen begann. Allein der Gedanke an das Gefängnis, in dem Malafonte im Augenblick saß, verursachte bei ihr Schwindelgefühle und eine schleichende Panik. Klaustrophobie nannten es die Mediziner, und Clara versuchte immer wieder, sie in den Griff zubekommen: Sie fuhr mit Aufzügen, obwohl sie dabei Todesängste ausstand, und so oft sie sich durchringen konnte, quetschte sie sich in eine vollbesetzte U-Bahn, schweißüberströmt und mit eisern gesenktem Blick. Versuchte zu atmen, ein - aus - ein - aus. Und wenn sich endlich die Türen wieder öffneten, zwang sie sich, langsam zu gehen. Schritt für Schritt, wie in Zeitlupe bewegte sie sich auf den Ausgang zu, kämpfte den Impuls nieder zu fliehen.
Die absolute Krönung ihrer Leiden aber war das Gefängnis. Sie versuchte es zu vermeiden, wann immer es möglich war. Meist übernahm Willi die unvermeidlichen Besuche in der Untersuchungshaft. Doch heute musste sie selbst gehen.
Clara wartete im Besucherraum auf Angelo Malafonte. Ihre feuchten Hände hielt sie unter dem Tisch verborgen auf die Oberschenkel gepresst und versuchte, nicht zu den winzigen Fensterschlitzen oben an der Wand hinaufzusehen. Trügerisches Licht strömte von dort herunter, gaukelte Freiheit vor. Doch die Luken waren zu schmal und zu hoch oben. Niemand kam die glatten Wände hinauf, niemand passte hindurch. Und niemandem würde es gelingen, das Sicherheitsglas einzudrücken. Es kam keine Luft durch diese Fenster, und auch die Tür, durch die sie hereingekommen war, war verschlossen. Keine frische Luft, sie bekam keine Luft. Clara spürte, wie es ihr schwerfiel zu atmen. Sie schloss die Augen und versuchte, den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren. Tief atmen, ein - aus - ein - aus. Ein Blick auf die Uhr. Eine halbe Stunde, maximal, dann war es vorbei, und sie
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