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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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begann zu trinken, mehr als früher, und er hörte mit seiner Musik auf. Er und seine Bandmitglieder zerstritten sich, ohne dass ich je den Grund dafür erfuhr. Und ich, ich war auch nicht mehr wie früher. Es störte mich, wenn er betrunken nachhause kam, ich merkte plötzlich, wie unzuverlässig er war, egoistisch, gleichgültig …«
    Sie zuckte mit den Schultern und nahm einen weiteren Zug von der Zigarette. Inzwischen sprach sie nicht mehr zu Willi, sondern nur noch zu sich selbst. »Es war nicht mehr wild, aufregend, wir waren nicht mehr … anders als andere. Ich saß mit Maureen, meiner Nachbarin, in ihrer Küche und hütete mit ihr Sean und ihre drei kleinen Kinder. Dazu tranken wir Wein. Maureen war gelbhaarig und dünn wie ein Strich. Sie hatte eine Vorliebe für derbe Witze und konnte stundenlang über Männer schimpfen. Ihr Mann arbeitete auf einer Bohrinsel in der Nordsee und war so gut wie nie da. Irgendwann tauschte Maureen dann den Wein mit Wodka, den sie aus einer gesprungenen Kaffeetasse ohne Henkel trank. Ich ging nicht mehr so oft hin. Dafür saß ich allein in dem Loch im Souterrain, das unsere Wohnung war. Oder wanderte stundenlang mit Sean an der Hand durch die Stadt. Irgendwann begann ich mich zu fragen, ob Maureen und ihre Wodkaflasche nicht doch die bessere Alternative gewesen wäre. Ian und ich stritten andauernd, und er kam immer weniger nach Hause. Eines Sonntags fragte mich Maureen, ob ich am Abend mit auf ein Fest in ein Pub in der Innenstadt kommen wollte, es wäre ein Haufen Musiker dort, und jeder, der wollte, dürfte auftreten. Ich war so lange nicht mehr abends weg gewesen, dass mich sogar Karaoke gereizt hätte. Also eröffnete ich Ian, dass er an diesem Abend bei Sean zuhause bleiben müsste, und ging.« Clara schüttelte den Kopf. Sie achtete nicht auf Willi, der jetzt nicht mehr in sein Buch starrte, sondern aufmerksam zuhörte. Sie hatte fast vergessen, dass er da war.
    »Es war ein so beschissenes Fest. Um neun waren alle schon betrunken. Ich bin gegangen. Als ich nach Hause kam, war Ian nicht da, und Sean auch nicht. Ich lief in seine Stammkneipe um die Ecke, da stand Ian an der Theke und trank Bier.«
    Clara schloss die Augen und versuchte zu verhindern, dass ihre Stimme zitterte. Der Moment stand ihr so klar vor Augen, als ob es gestern gewesen wäre.
     
    »Wo ist Sean?«, hatte sie geschrien, außer sich vor Wut. Ian hatte sich umgedreht und in einer übertriebenen bierseligen Geste die Arme ausgebreitet: »Schon zurück, mein Schatz?«
    Clara hatte ihn am Arm gepackt und geschüttelt: »Wo ist unser Sohn?«
    »Dahinten, er schläft selig.« Ian deutete hinter die Theke, wo Seans alter Kinderwagen stand, in den er mit seinen vier Jahren kaum noch hineinpasste. Doch der Buggy war leer. Clara wartete Ians Reaktion nicht ab, sondern lief hinaus auf die Straße. Das Pub war direkt neben der Brauerei, deren lange Backsteinmauer am Fluss entlangführte. Clara lief neben der Mauer her und schrie nach Sean. Immer wieder kehrte sie um, lief hin und zurück, die Augen angstvoll auf das dunkle, trübe Wasser gesenkt. Inzwischen hatten sich mehr Menschen versammelt und suchten mit ihr. Alle hatten gehört, dass de Bearras kleiner Junge verschwunden war. Auch Ian selbst hatte sich mittlerweile den Suchenden angeschlossen. Clara lief zurück in die Bar, suchte verzweifelt unter den Tischen, auf den Toiletten, in der Küche. Bis sie die Sirenen hörte. Als sie wieder nach draußen hetzte, sah sie schon von weitem das Sanitätsauto am Ende der langen Straße, wo die Brücke über den Fluss und in die Innenstadt führte. Sie lief so schnell sie konnte, doch es schien, als würde die Mauer nie enden. Als sie endlich angekommen war, konnte sie kaum noch atmen, und ihre Brust schien zu zerspringen.
    Clara sah die Gesichter der Schaulustigen wieder vor sich, bläulich schimmernd im zuckenden Licht, sie gaben ihr schweigend den Weg frei. Ein leichenblasser Ian stand dort und neben ihm auf der Trage der Sanitäter, erschreckend winzig, nass und wie tot, Sean. Sie hatten ihn aus dem Wasser gezogen, als er unter der Brücke hindurchgetrieben kam. Clara war auf Ian losgegangen wie eine Furie. Sie hatte ihn töten wollen, rasend vor Wut. Die Menschen um sie herum hatten sie von Ian weggezogen, hatten ihre Hände, die sich in seine Jacke, sein Gesicht, seine Haare krallten, vorsichtig gelöst, und irgendeiner der Sanitäter hatte ihr schließlich eine Spritze gegeben. Die ganze Zeit hatte sie

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