Das Gesetz Der Woelfe
er und gab sich geschlagen. Er rief nach der Dogge und warf ihr das Buch zu. Sie schnappte entzückt danach und wedelte dabei höflich mit dem Schwanz.
»Komm mit, altes Mädchen.« Er zog sich sein Jackett an und hinterließ Linda eine kurze Notiz, dass sie in der nächsten halben Stunde bei Rita zu finden seien. Dann lief er mit Elise durch den strömenden Regen in das Café zwei Häuser weiter. Clara saß in einer Ecke und starrte trübsinnig in ihre Cappuccinotasse. In ihrer rechten Hand verglühte unbeachtet eine Zigarette. Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie Willi und Elise hereinkommen sah. Sie sprang auf und umarmte Willi, der halbherzig abwehrte und sich vergeblich bemühte, aus Gründen des Stolzes wenigstens einen Restgroll auf Clara zur Schau zu stellen.
KALABRIEN
Chi fini brutta fannu li cunfirenti
Chi di nascostu fannu li cantanti
Da malavita su brutti guardati
A tiru l’hannu sempre a sti venduti …
Was für ein schlimmes Ende die Verräter nehmen
Die im Verborgenen zu singen beginnen!
Das Verbrechertum hasst solche Menschen
Es lässt sie nicht aus den Augen …
Aus: »Omertà, Onuri e Sangu; Il Canto di Malavita«
Traditionelle Lieder der kalabresischen Mafia
Mimmo Battaglia fühlte sich gar nicht wohl bei dem Gedanken daran, was Filippo vorhatte. Und noch weniger wohl war ihm angesichts der Rolle, die ihm dabei zugedacht worden war. Er hatte sich von diesem grünen Jungen in die Enge treiben lassen. Nur weil er ihn an seinen Vater erinnert hatte. Eine Erinnerung, die alles andere als willkommen war. Er hätte sich nicht weich klopfen lassen sollen von diesem jungen Kerl. Wie alt war er wohl? Sechzehn, siebzehn? Was kümmerte ihn, dass Filippo den Tod seines Papas nicht verwinden konnte? Es war schlimm, ja, ganz furchtbar, aber es betraf doch nicht ihn. Nicht Mimmo Battaglia. Schon längst nicht mehr.
Mimmo betrat den kleinen Friseurladen in der Via Sabrina mit gerunzelter Stirn, noch immer in diese unerfreulichen Gedanken verstrickt. Salvatore, der Friseur, begrüßte ihn freundlich. Dennoch schien es Mimmo so, als ob die Freundlichkeit ein wenig abgekühlt war im Vergleich zu seinem letzten Besuch. Lag da nicht eine merkwürdige Zurückhaltung in Salvatores Blick, während er ihn höflich bat, Platz zu nehmen? Und warum diese ausgesuchte Höflichkeit? War dies nicht auch ein deutliches Zeichen von Distanz? Salvatore und er kannten sich seit Jahren. Seit Mimmo in dieses Viertel in der Altstadt von Reggio di Calabria gezogen war, damals, nach dem Attentat auf Raffaele de Caprisi. Und wenngleich sie sich nie geduzt hatten, war ihr Umgang miteinander immer vertraut gewesen. Man verstand sich. Mochte sich sogar. Doch heute war etwas anders. Mimmo meinte, etwas Lauerndes, Abwartendes in Salavatores Augen zu sehen. Seine kleinen stechenden Augen schweiften immer wieder ab, während er Mimmo den Umhang umband. Sie glitten über die kleine Straße vor dem Fenster, als suchten sie etwas, warteten auf jemand. Mimmo bemerkte Schweißperlen auf Salvatores Stirn, während seinen Hände geschäftig wie immer mit Kamm und Schere über Mimmos graue Locken flogen. Konnte er etwas wissen? Aber was sollte das schon sein? Filippo de Caprisi hatte ihm, einem alten Freund seines Vaters, einen Besuch abgestattet. Da war schließlich nichts dabei. Mimmo versuchte sich zu entspannen. Normalerweise genoss er seine Besuche bei Salvatore. Doch seit dieser verdammte Junge bei ihm gewesen war, war sogar das nicht mehr wie früher. Der Genuss war ihm abhandengekommen. Ebenso wie die Ruhe. Er konnte nachts nur schlecht schlafen, stand immer wieder auf, um drei, um vier, um fünf Uhr, und schlich an das Fenster, ohne Licht zu machen. Dann stand er dort in seinen ausgebeulten Boxershorts, die es längst schon nicht mehr mit seinem Bauch aufnehmen konnten, und starrte hinunter auf die leere Straße. Bei jedem Mopedfahrer zuckte er zusammen, und jeder nächtliche Passant jagte ihm einen Schrecken ein. Heute Morgen hatte jemand seinen Klingelknopf mit Kleber zugeschmiert, und obwohl das schon öfters vorgekommen war und durchaus ein dummer Jungenstreich dahinterstecken konnte, fasste es Mimmo Battaglia anders auf. Er war Kalabrese, hier in der Stadt aufgewachsen, und natürlich kannte er die Geschichten, bei denen es so angefangen hatte, mit vermeintlichen Jungenstreichen, und am Ende war die betreffende Person tot oder verschwunden, was auf das Gleiche herauskam. Wie
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