Das Gesetz des Irrsinns
einer Szene ›aus symbolischen Gründen‹. Er wollte ›im Kleide der Schlacht um Kolberg‹ dargestellt wissen, wie damals der König in den Thermopylen vor Sparta sich und sein Heer opferte, um den späteren Endsieg zu ermöglichen. Ich sagte Goebbels, dass praktisch alle Schlachtszenen bereits gedreht seien und das Gefüge meines Themas viel zu fest umrissen sei, als dass es noch möglich wäre, seinen Wunsch auf präzise Weise zu erfüllen.«
Dennoch greife ich das Stichwort auf, realisiere im Roman, was durchaus in den (ohnehin weit überdehnten) Zeitraum jener Filmproduktion gepasst hätte.
Zur (auch generellen) Begründung der Methode abschließend noch ein Hinweis und ein Zitat. In der höheren Mathematik, so lese ich, gehen manche Rechnungen nur auf, wenn imaginäre Zahlen integriert werden.
Analog habe ich dem Roman insgeheim ein Motto vorangesetzt: »Ich gebe der Wahrheit einen gewissen Spielraum.« Ein Satz, den ich aufgeschnappt habe in einem Spielfilm ohne cineastische Bedeutung:
A Knight’s Tale,
Regie Brian Helgeland.
Der Kontext: Dem Dichter Geoffrey Chaucer, im Ritterfilm wiederholt auftretend, wird mal vorgehalten, er lüge. Seine Replik in brillanter Dialogführung: »Ich gebe der Wahrheit einen gewissen Spielraum.« Ein Satz, den ich, elektrisiert aufspringend, sofort notierte und in Gesprächen gern zitiere.
Auch ich gebe in diesem Roman der Wahrheit einen gewissen Spiel-Raum
.
Zum Schluss noch ein Hinweis auf das Ende der Geschichte, getreu dem Gesetz des Irrsinns. Ursprünglich sollte der Kolberg-Film wohl in Kolberg zur Uraufführung gelangen, das war aber nicht mehr möglich, als der Film endlich fertig wurde: zu viele Flüchtlinge in der kleinen Stadt, und die Rote Armee rückte immer näher. Der Film über die Verteidigung einer Festungsstadt sollte aber nun mal in einer Festungsstadt aufgeführt werden, stimulierend. In deutschen Städten war das nicht mehr möglich, also wurde der Film über das besetzte Frankreich hinweg zur Atlantik-Festungsstadt La Rochelle eingeflogen, unter sehr hohem Risiko. Die Versorgungsbombe mit den Filmrollen dürfte, nach zielgerechtem Abwurf, auf der Decke des breitgelagerten U-Boot-Bunkers gelandet sein.
Die Übermittlung wurde begleitet durch einen Funkspruch von der Spree an den Atlantik, vom Propagandaminister an den Festungskommandanten. Als erstes Wort: »Möge«. Es folgten Parolen: »Und Ihren tapferen Soldaten … Dokument der unerschütterlichen Standhaftigkeit … diesen Tagen eines weltumspannenden Ringens … mit der kämpfenden Front … großen Vorbildern seiner ruhmvollen Geschichte gleichzutun«.
Vizeadmiral Ernst Schirlitz, Kommandant der Festungsstadt, antwortete seinerseits mit einem Funkspruch, gleichfalls zur Publikation bestimmt: »Tief beeindruckt … heldenhafte Haltung der Festung Kolberg … künstlerisch unübertreffliche Darstellung … Dank für die Übersendung des Films … Gelöbnis … der heldenhaft kämpfenden Heimat gleichzutun … in Ausdauer und Einsatzbereitschaft nicht nachzustehen«.
Jedoch: bereits ein Vierteljahr zuvor hatte Schirlitz, die Aussichtslosigkeit der Lage erkennend, internen Waffenstillstand mit der Belagerungstruppe geschlossen.
Die Initiative war von französischer Seite ausgegangen: Hubert Meyer, Capitaine de Fregatte, führte die (geheimen) Verhandlungen. Man schloss ein »gentlemen’s agreement«: Schirlitz gab die verbindliche Erklärung ab, er werde, den Führerbefehl ignorierend, die Hafenanlagen nicht mit den bereitliegenden 60 Tonnen Dynamit zerstören. Im Gegenzug erklärten sich die Alliierten bereit, Bombenangriffe auf die Stadt zu unterlassen, auch soll die französische Belagerungstruppe auf Kampfhandlungen verzichten. Weiter: Nach der Kapitulation der Westarmee soll Schirlitz Stadt und Hafen unversehrt übergeben; die 18000 Soldaten und zivilen Angestellten des U-Boot-Arsenals gehen mit dem Vizeadmiral in Gefangenschaft; ehrenhafte Behandlung wird zugesichert.
Die Konvention von La Rochelle, 20 . Oktober 1944 . Nach der Unterzeichnung: gemeinsamer Umtrunk französischer und deutscher Offiziere.
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Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
Coverabbildung: Sammlung Kühn
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
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ISBN 978-3-10-402589-6
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