Das Gesicht des Drachen
ändern.«
»So lautet also Ihre Antwort«, erwiderte Rhyme und lächelte matt. »Mehr wollte ich gar nicht. Eine Entscheidung. Sie haben eine getroffen. Gut.« Er dachte, amüsiert und bekümmert zugleich, dass diese Geschichte große Ähnlichkeit mit einer Partie Wei-Chi hatte.
»Thom, würdest du ihm bitte unser Manuskript zeigen?«, bat Rhyme seinen Betreuer.
Der junge Mann zog einen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Webley vom Außenministerium. Dieser öffnete ihn und fand darin ein langes Memo von Rhyme an Peter Hoddins, einen Auslandsreporter der New York Times. Darin wurde detailliert beschrieben, was Rhyme soeben für Peabody und Webley zusammengefasst hatte.
»Peter und ich sind gute Freunde«, sagte Thom. »Ich habe ihm erzählt, wir hätten für ihn eventuell eine Exklusivstory über den Untergang der Fuzhou Dragon. Er war sehr interessiert.«
»Peter ist ein guter Journalist. Er war sogar schon in der engeren Wahl für den Pulitzer-Preis«, verkündete Rhyme stolz.
Webley vom Außenministerium und Peabody sahen sich kurz an und zogen sich dann in eine Ecke des mittlerweile leeren Abfertigungsschalters zurück, um jeweils einige Telefonate zu führen.
»Mr. Kwan muss jetzt unverzüglich an Bord kommen«, sagte die Angestellte der Fluggesellschaft.
Nachdem die beiden Bundesbeamten ihre Gespräche beendet hatten, erhielt Rhyme seine Antwort: Webley vom Außenministerium drehte sich wortlos um und ging.
»Halt!«, rief der Geist. »Das können Sie nicht machen! Wir hatten eine Vereinbarung!«
Der Mann ging weiter, zerriss unterdessen Rhymes Memo und warf es in einen Abfalleimer, ohne auch nur einmal innezuhalten.
Sellitto teilte der Dame von Northwest Airlines mit, sie könne die Tür des Flugzeugs nun schließen. Mr. Kwan würde die Reise nicht antreten.
Der Blick des Geists bohrte sich tief in Rhymes Augen, und seine Schultern fielen herab, ein deutliches Zeichen seiner Niederlage. Doch unmittelbar darauf schien die Verzweiflung über diesen Misserfolg schlagartig durch die Hoffnung auf einen künftigen Sieg ausgeglichen zu werden. Das Yang erhielt Auftrieb durch eine kräftige Dosis Yin, hätte Sonny Li vielleicht gesagt. Der Schlangenkopf sah Sachs an und lächelte frostig. »Ich bin geduldig, Yindao. Bestimmt werden wir uns wiedersehen. Naixin... Alles zu seiner Zeit, alles zu seiner Zeit.«
Amelia Sachs hielt seinem Blick mühelos stand. »Je eher, desto besser«, sagte sie und wirkte dabei nach Rhymes Ansicht noch tausendmal kälter als der Geist.
Die uniformierten Beamten des NYPD nahmen den Schlangenkopf in Gewahrsam.
»Ich schwöre, ich habe nicht gewusst, was hinter all dem steckt«, versicherte Harold Peabody. »Man hat mir gesagt, es.«
Doch Rhyme hatte keine Lust mehr auf Diskussionen. Ohne ein weiteres Wort bewegte er seinen Finger leicht über das Touchpad und ließ den Storm Arrow dadurch eine Kehrtwende vollführen.
Es blieb Amelia Sachs vorbehalten, im Fall von Kwan Ang oder Gui, dem Geist, den letzten innerbehördlichen Austausch vorzunehmen. Sie streckte dem besorgten Harold Peabody die Hand hin.
»Würden Sie mir bitte die Schlüssel für seine Fesseln aushändigen? Falls Sie die Handschellen nach seiner Einweisung wiederhaben möchten, können Sie sie sich im Untersuchungsgefängnis abholen.«
...Fünfzig
Einige Tage später war der Geist zu den Anklagepunkten gehört und ohne Kaution in Haft genommen worden.
Die Liste der ihm zur Last gelegten Straftaten war lang: Mord, Menschenschmuggel, tätliche Bedrohung, Schusswaffenbesitz, Geldwäsche.
Dellray und seine Vorgesetzten im Justizministerium hatten ihre Beziehungen zur Staatsanwaltschaft spielen lassen und erreicht, dass Sen Zijun, der Kapitän der versenkten Fuzhou Dragon, nicht mit einem Verfahren wegen Menschenschmuggels rechnen musste, sofern er bereit war, gegen den Geist auszusagen. Nach seiner Aussage vor Gericht würde man ihn nach China abschieben.
Rhyme und Sachs waren allein in seinem Schlafzimmer, und die Polizistin betrachtete sich in einem großen Spiegel.
»Du siehst toll aus«, sagte der Kriminalist. Sie hatte in einer Stunde einen Gerichtstermin. Die Angelegenheit war wichtig, und Sachs spielte in Gedanken immer wieder den bevorstehenden Auftritt vor der Richterin durch.
Verunsichert schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß nicht.« Amelia Sachs hatte sich noch nie nach ihrer früheren Mannequin-Karriere zurückgesehnt und sich stets als »Jeans-und-Pullover-Mädchen« bezeichnet.
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