Das Gesicht des Teufels
sie nicht sehen, aber der Schatten, der auf ihr lag, war deutlich.
«Sie wird sterben», rief sie. «Gift. Ihr aber helft ihr nicht.» Sie schaute Aufreiter geradewegs ins Gesicht, ohne ihn allerdings zu sehen.
«Hanna, nicht! Nicht!»
Ulrichs entsetzte Stimme brachte sie wieder zu sich.
Aufreiter dagegen grinste verschlagen. «Na also», rief er zufrieden und schaute in die Runde. «Ich habe es doch gewusst. Wer so spricht, ist eine Hexe.» Er wendete sein Pferd, gab seinen Männern ein Zeichen. Schon trabten sie davon. Aufreiter aber schaute sich noch einmal nach ihr um und rief: «Du wirst mich kennenlernen, Hanna Völz, Hexe!»
Jockel und seine Männer schauten Hanna ehrfürchtig an, Ulrich dagegen rang noch immer um Fassung.
«Du kannst auf uns zählen, Hanna Völz», sagte Jockel.
«Aber was hilft ihr das? Was?» Ulrich stampfte mit dem Fuß auf und ballte die Fäuste. «Hanna, was hast du angerichtet? Was hast du dir dabei gedacht? Warum?»
Hannas Augen füllten sich mit Tränen.
Der Fluch ist zurückgekommen, dachte sie. Ich habe ein Gesicht gehabt, eine Vision. Es überkam mich, einfach so. Ich konnte mich nicht wehren, alles ging so schnell.
Sie atmete tief durch. Ulrich stieg zu ihr aufs Pferd, legte seine Arme fest um sie. Erschöpft lehnte sie sich an ihn und schloss die Augen. Sie fühlte sich so müde, als hätte sie tagelang nicht richtig geschlafen.
Raban trabte los. Jockel und seine Männer winkten.
40
Magdalena gab ihr den Rat, sich mögliche neue Gesichte am besten mit Arbeit vom Hals zu schaffen. «Weißt du, der Mensch hat nach dem Sündenfall das Recht auf paradiesische Stelldicheins verloren. Darum geht es dir jetzt so schlecht. Also fass mit an.»
«Unsinn, du bist ja nur neidisch», rief ihr Ursula zu undhob einen gesägten Stamm an. «Gib’s zu. Weil du so einen wie Ulrich nie auf dir gehabt hast.»
Hanna tat, als habe sie beide Frauen nicht gehört. Sie stand vor dem Holzstall und schaute zu, wie Ursula und Magdalena beinlange Stämme umstapelten. An den vergangenen Tagen hatten sie die letzten, noch vom Vorjahr übrigen Stämme zersägt, jetzt würde es nicht mehr lange dauern, und sie würden Holz kaufen müssen.
Ursula wischte sich den Schweiß von der Stirn, Magdalena hielt sich ein Nasenloch zu und schnäuzte sich. «Aufwachen!», rief sie spöttisch, aber auch liebevoll, Ursula lächelte und nickte.
«Ja, ihr habt ja recht. Ich darf mich auf keinen Fall zum Sklaven meiner Gesichte machen.» Hanna trat in den Holzstall, hob ein Stück Holz an, doch ließ es gleich wieder sinken. Ratlos schaute sie von Ursula zu Magdalena, die sie jetzt wie eine musterten, die sich noch nie die Hände schmutzig gemacht hatte.
Hanna verstand ihre Blicke. «Dann tu ich eben was anderes.» Sie lief in die Hütte und kam mit einem Korb am Arm zurück.
«Wo willst du hin?», fragte Magdalena.
«Ist doch egal.»
Ursula schöpfte sich eine Kelle Wasser, Magdalena zupfte sich ihr Kopftuch zurecht. Sie sahen Hanna nach, die ins Walddickicht stapfte, um Kräuter zu suchen – was sie auch in den folgenden Tagen tat, denn sie hatte, wie sie behauptete, einen Riesenhunger auf frisches Grün.
So mischte sie Bärlauch, Gierschstängel und frische Löwenzahnblätter mit ein wenig Zwiebel, Essig und Öl zu erfrischenden Salaten, und weil sie davon, wie sie sagte, immer bierdurstiger wurde, machte sie sich eines Nachmittags mit Magdalenas Bierfass auf dem Buckel auf den Weg nach Neusitz, um es auffüllen zu lassen.
In der Dorfschänke erfuhr sie, dass sich in Rothenburg etliche Bürger auf die Seite der Weinbauern gestellt hatten und kurz davor standen, die Klöster und Häuser der Geistlichen zu plündern. «Doktor ABC, der Menzingen und der blinde Mönch haben jetzt das Sagen in der Stadt», erklärte ihr der Wirt. «Der Rest von den hohen Herren denkt nur noch an sich und daran, dass es sie nicht trifft.»
«Stimmt es, dass Rothenburger Hegebauern das Schloss in Bütthard zerstört haben?»
«Nicht nur das. Auch Röttingen und Gelchsheim. Überall werden die Kornkästen ausgenommen. Und man verbrüdert sich mit den Einwohnern, die die Stadttore öffnen.»
«Ihr klingt, als wärt Ihr gern mit dabei.»
«Nichts da, Hanna. Ich weiß, wo das endet. Und du, du hast doch sogar Gesichte davon, nicht wahr?» Der Wirt leerte die sechste Kanne Bier in Hannas Fass und stemmte umständlich den Deckel auf. «So, damit hat eure Wachsenberger Weiberwirtschaft für heut und morgen ja nun Bier satt»,
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