Das Gesicht
heißt.«
»Dann sind Sie eben keines dieser magersüchtigen Models. Na und? Schönheit ist in allen erdenklichen Verpackungen anzutreffen.«
Candace hatte offenbar nur selten, wenn überhaupt schon einmal, derart gütige Worte von einem so attraktiven und begehrenswerten Mann wie Roy Pribeaux gehört.
Falls sie selbst jemals an einen Tag dachte, an dem sie keine Abfallprodukte mehr ausschied, dann musste sie wissen, dass er diesem Ziel wesentlich näher war als sie.
»Sie haben wunderschöne Augen«, sagte er zu ihr. »Umwerfend schöne Augen. Augen von der Sorte, in die man über lange Jahre hineinschauen könnte.«
Ihre Röte vertiefte sich, doch ihre Schüchternheit wurde von einem so großen Erstaunen übertroffen, dass sie den Blickkontakt zu ihm herstellte.
Roy wusste, dass er es nicht wagen durfte, zu dick aufzutragen. Nachdem sie ein Leben lang verschmäht worden war, würde sie sonst den Verdacht hegen, er hätte es darauf abgesehen, sie zu demütigen.
»Als Christ«, erklärte er, obwohl er keine religiösen Überzeugungen hatte, »glaube ich, dass Gott jeden Menschen in mindestens einer Hinsicht schön erschaffen hat und wir diese Schönheit erkennen müssen. Ihre Augen sind ganz einfach … vollkommen. Sie sind der Spiegel Ihrer Seele.«
Sie steckte die Wolke aus Zuckerwatte in einen Ständer auf
der Theke und wandte den Blick wieder ab, als könnte es eine Sünde sein, zuzulassen, dass er sich derart an ihren Augen erfreute. »Ich war nicht mehr in der Kirche, seit meine Mutter vor sechs Jahren gestorben ist.«
»Das tut mir Leid für Sie. Sie muss sehr jung gestorben sein.«
»Krebs«, vertraute ihm Candace an. »Ich war so wütend darüber. Aber inzwischen … ich vermisse die Kirche.«
»Wir könnten mal gemeinsam hingehen und anschließend Kaffee trinken.«
Sie riskierte es wieder, ihm in die Augen zu sehen. »Warum?«
»Warum nicht?«
»Es ist nur … Sie sind so …«
Er gab vor, ebenfalls schüchtern zu sein, und wandte den Blick von ihr ab. »So gar nicht Ihr Typ? Ich weiß, dass ich auf manche Menschen oberflächlich wirken könnte …«
»Nein, das war es nicht, was ich gemeint habe.« Aber sie brachte es nicht über sich, zu erklären, was sie meinte.
Roy zog einen kleinen Notizblock aus seiner Tasche, schrieb eilig etwas darauf und riss die Seite ab. »Hier ist mein Name – Ray Darnell – und meine Handynummer. Vielleicht überlegen Sie es sich ja doch noch anders.«
Candace starrte die Nummer und den falschen Namen an und sagte: »Ich habe immer sehr zurückgezogen gelebt.«
Wie schüchtern es war, dieses brave Geschöpf.
»Das kann ich gut verstehen«, sagte er. »Ich gehe selbst so gut wie nie aus. Für die Frauen von heute bin ich zu altmodisch. Sie sind so … kühn, dass ich mich fast schon für sie schäme.«
Als er versuchte, für seine Zuckerwatte zu bezahlen, wollte sie kein Geld von ihm annehmen. Er bestand darauf.
Während er fortging, naschte er von dem klebrigen Zeug, weil er ihren Blick auf sich spürte. Sowie er aus ihrer Sichtweite
verschwunden war, warf er die Zuckerwatte in einen Abfalleimer.
Dann setzte er sich auf eine Bank in der Sonne und sah auf seinen Notizblock. Ganz hinten auf der letzten Seite hatte er seine Checkliste angelegt. Nach all den Mühen hier in New Orleans und vorher anderswo hatte er gerade erst gestern den vorletzten Punkt abgehakt: Hände .
Jetzt versah er den letzten Punkt auf der Liste mit einem Fragezeichen und hoffte, er würde ihn bald ausstreichen können.
AUGEN?
6
Er ist ein Kind der Barmherzigkeit , in der Barmherzigkeit geboren und in der Barmherzigkeit aufgewachsen.
In seinem fensterlosen Zimmer sitzt er an einem Tisch und löst in einem dicken Heft Kreuzworträtsel. Nie zögert er, um über eine Antwort nachzudenken. Die Antworten fallen ihm augenblicklich zu, und er schreibt mit Tinte flink Buchstaben in die Kästchen, ohne sich jemals zu irren.
Sein Name ist Randal sechs, denn vor ihm sind bereits fünf männliche Wesen Randal genannt worden und in die Welt hinausgezogen. Falls auch er sich jemals in die Welt hinausbegeben sollte, bekäme er einen Nachnamen.
In dem Tank, bevor er zu Bewusstsein kam, hatte er durch den Download von Daten direkt in sein Gehirn Kenntnisse erlangt. Nachdem er zum Leben erweckt worden war, hatte er in Schlafphasen, die mit künstlichen Mitteln herbeigeführt wurden, weitergelernt.
Er weiß über die Natur und die Zivilisation mitsamt all
ihren Komplikationen Bescheid, er
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