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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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mehr erschien es ihm, als täte sich der Weg in die Senilität so steil wie eine Rodelbahn vor ihm auf.
    Geist und Körper waren unentwirrbar miteinander verknüpft, das verstand sich von selbst, und daher würde ein Jahr mentalen Alterns unvermeidlich zu Fältchen um die Augenwinkel und den ersten grauen Haaren an seinen Schläfen führen. Er erschauerte.
    Er bemühte sich, den Wunsch nach einem Spaziergang zu verspüren, doch wenn er den Tag im French Quarter verbrachte, unter den Scharen von ausgelassenen Touristen, und es ihm misslingen sollte, der strahlenden Göttin zu begegnen, die sein Schicksal war, dann würde sich sein Unbehagen vertiefen.
    Da er selbst der Perfektion sehr nahe gekommen war, sollte er sich jetzt, nachdem er all die Bestandteile einer idealen Frau zusammengetragen hatte, vielleicht zum Ziel setzen,
seinen Stoffwechsel zu perfektionieren, bis er vollständig aufhörte, Abfallprodukte auszuscheiden.
    Das mochte zwar ein edles Unterfangen sein, doch es versprach nicht halb so viel Spaß wie die Suche, die er gerade erst abgeschlossen hatte.
    Schließlich ertappte er sich dabei, dass er sich aus Verzweiflung fragte, ob – ja, sogar hoffte , dass – er sich mit der Schlussfolgerung, seine Sammlung sei komplett, geirrt hatte. Es könnte doch sein, dass er ein anatomisches Detail übersehen hatte, das zwar geringfügig, zur Vervollständigung des Puzzles der Schönheit aber dennoch von größter Bedeutung war.
    Eine Zeit lang saß er mit da Vincis berühmten anatomischen Skizzen und etlichen Postern, die er aus alten Playboy -Nummern herausgetrennt hatte, am Küchentisch. Er studierte die weibliche Gestalt aus jedem erdenklichen Blickwinkel und hielt nach einem Leckerbissen Ausschau, den er übersehen haben könnte.
    Als er keine Entdeckung machte, die es ihm erlaubte, heureka! zu rufen, begann er die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass er bei seiner Sammlung nicht spezifisch genug vorgegangen war. War es denkbar, dass er zu großflächig gewählt hatte?
    Wenn er Elizabeth Lavenzas zauberhafte bleiche Hände jetzt aus der Gefriertruhe nähme und sie noch einmal kritisch musterte, könnte er zu seinem Erstaunen feststellen, dass sie durchaus perfekt waren, ja, das schon, in jeder Hinsicht, bis auf ein winziges Detail. Vielleicht hatte sie an einer Hand einen Daumen, der nicht hundertprozentig perfekt war.
    Vielleicht waren die Lippen, die er an sich gebracht hatte, nicht beide so perfekt, wie er sie in Erinnerung hatte. Die Oberlippe könnte perfekt sein, die untere dagegen nicht ganz so perfekt.

    Wenn er sich auf die Suche nach dem perfekten linken Daumen machen musste, um ihn mit Elizabeths ansonsten makellosen bleichen Händen zu verbinden, wenn er eine üppige, sinnliche Unterlippe für die erlesen schöne Oberlippe finden musste, die bereits in seinem Besitz war, dann war seine Suche doch noch nicht abgeschlossen, und er würde eine Zeit lang einen sinnvollen …
    »Nein«, sagte er laut. »Das wäre der reine Wahnsinn.«
    Bald würde er sich darauf beschränken müssen, einen einzigen Zeh pro Spender an sich zu bringen und eine Frau um ihrer Wimpern willen zu töten. Zwischen ernsthaften Mordabsichten und einer Posse lag nur ein schmaler Grad.
    Als er erkannte, dass diese Überlegungen in eine Sackgasse führten, hätte Roy in dem Moment in ohnmächtige Verzweiflung versinken können, obgleich er im Grunde seines Herzens Optimist war. Zum Glück errettete ihn ein neuer Gedanke. Aus seinem Nachttisch holte er seine ursprüngliche Liste der wünschenswerten anatomischen Freudenquellen. Er hatte die Punkte im Zuge ihrer Erwerbung einzeln ausgestrichen, als Letztes AUGEN.
    Die Liste war lang, und vielleicht hatte er in einem frühen Stadium der Suche einen der Punkte aus reinem Wunschdenken durchgestrichen, bevor er den Gegenstand tatsächlich in seinen Besitz gebracht hatte. Seine Erinnerung an gewisse Phasen seiner Vergangenheit war irgendwie nebelhaft, weil er ein Mensch war, dessen ganzes Streben sich auf das Morgen richtete, auf die Zukunft, in der er immer jünger werden und der Perfektion immer näher kommen würde.
    Er erinnerte sich vage, im Lauf der Jahre ein oder zwei Frauen um einer idealen Einzelheit willen getötet zu haben, doch dann hatte sich bei genauer Untersuchung der Leiche erwiesen, dass der gewünschte Gegenstand einen kleinen Makel aufwies und es daher nicht wert war, ihn zu besitzen. Vielleicht waren es aber auch mehr als ein oder zwei Frauen
gewesen. Vielleicht

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