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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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dieser Elemente als angemessen für ein Bestattungsinstitut empfunden worden. Wahrscheinlich war das Haus um 1850 herum von Neureichen erbaut worden, die frisch zugezogen und in den kreolischen Bezirken nicht willkommen gewesen waren. In dieser
Stadt verlieh die Zeit schließlich auch Bauten Würde, die einstmals empörend gewesen waren, und nicht nur denen, die vom Tage ihrer Errichtung an klassisch gewesen waren.
    Während er ein Foto von Bobby Allwine betrachtete, das Carson ihm gegeben hatte, sagte Taylor Fullbright: »Ja, genau das ist der Herr. Die arme Seele hat mir wirklich Leid getan – ein Mann, dem so viele Freunde wegsterben. Dann ist mir klar geworden, dass er keinen einzigen der Verstorbenen auch nur kannte.«
    Carson sagte: »Er … ich meine, was ist das, hat es ihn etwa angemacht, in der Nähe von Toten zu sein?«
    »Nichts halb so Abartiges«, sagte Fullbright. »Er schien in ihrer Anwesenheit einfach nur … seinen Frieden zu finden.«
    »Das hat er gesagt – dass er seinen Frieden findet?«
    »Die einzigen Worte von ihm, an die ich mich noch erinnern kann, waren: ›Der Tod kann auch ein Geschenk sein und nicht nur ein Fluch‹, und das ist oft wahr.«
    »Haben Sie ihn darauf angesprochen, dass er zu all diesen Gedächtnisfeiern erschienen ist?«
    »Auseinandersetzungen liegen mir nicht, Detective. Einige Bestattungsunternehmer sind so übertrieben feierlich, dass sie geradezu streng wirken. Ich gehöre eher zu den Umarmern und Tröstern. Mr Allwine und sein Freund haben mir nie Probleme gemacht. Sie wirkten eher melancholisch als unheimlich.«
    Carsons Telefon läutete, und als sie ein paar Schritte zur Seite trat, um den Anruf entgegenzunehmen, sagte Michael zu Fullbright: »Er ist mit einem Freund hierher gekommen? Können Sie uns eine Personenbeschreibung geben?«
    Der Bestattungsunternehmer nickte lächelnd und sagte so liebenswürdig wie ein Bär in einem Zeichentrickfilm für Kinder: »Ich kann ihn so deutlich vor mir sehen, als stünde er hier. Er war von einem so unauffälligen und durchschnittlichen Äußeren, dass es kaum zu glauben war. Mittelgroß.
Eine kleine Spur über dem Durchschnittsgewicht. Mittleren Alters. Braunes Haar – vielleicht aber auch blond. Blaue oder grüne Augen, vielleicht auch grüngesprenkelte.«
    Mit einem Sarkasmus, der wie ernst gemeintes Lob klang, konstatierte Michael: »Erstaunlich. Diese Beschreibung ersetzt glatt ein Foto.«
    Fullbright sagte erfreut: »Ich habe einen guten Blick für Einzelheiten.«
    Carson steckte ihr Telefon ein und wandte sich an Michael: »Jack Rogers will uns im Leichenschauhaus sehen.«
    »Sie könnten dem Coroner gegenüber vielleicht erwähnen«, sagte Fullbright, »dass ich Leuten, die uns Kunden schicken, zwar keine Provision zahle, aber wenn jemand auf Empfehlung kommt, gebe ich Rabatt.«
    »Ich kann es kaum erwarten, ihm das auszurichten«, sagte Michael. Dann deutete er auf die Marmoreinlegearbeiten vor ihren Füßen und fragte: »Wer ist diese Gestalt?«
    »Die mit den geflügelten Füßen? Das ist Merkur.«
    »Und die neben ihm?«
    »Aphrodite«, sagte Fullbright.
    »Sind die zwei gerade …?«
    »Beim Kopulieren?«, fragte der Bestattungsunternehmer vergnügt. »Ja, in der Tat. Sie wären überrascht, wie vielen Trauergästen das auffällt und wie sehr es sie aufheitert.«
    »Ich bin überrascht«, räumte Michael ein.

43
    Je länger Roy Pribeaux seinen geräumigen Loft durchstreifte, aus den hohen Fenstern schaute und an seiner Zukunft herumgrübelte, desto bedrückter wurde er.

    Als am späteren Vormittag ein Schauer gegen die Scheiben prasselte und die Stadt verschwimmen ließ, hatte er das Gefühl, als verschwömme auch seine Zukunft immer mehr, bis sie nur noch ein bedeutungsloser, verschmierter Klecks war. Er hätte weinen können, aber Weinen war nun mal nicht sein Fall.
    Nie in seinem jungen – und stetig jünger werdenden – Leben hatte er ohne ein Ziel und einen Plan dagestanden. Sinnvolle Arbeit schärfte den Verstand und erbaute das Herz.
    Sinnvolle Arbeit und ein lohnendes Ziel waren für die Langlebigkeit und den Erhalt der Jugendlichkeit ebenso ausschlaggebend wie eine Megadosis Vitamin C und Coenzym Q10.
    Ohne ein Ziel, das ihm Auftrieb gab, fürchtete Roy, trotz einer perfekt ausgewogenen Ernährungsweise, ideal ausbalancierten Nahrungszusätzen, einer großen Bandbreite exotischer Kosmetikprodukte und sogar aufbereiteten Lammurins würde er beginnen, mental zu altern. Je mehr er grübelte, desto

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